Zu viel Stress macht krank

 

Der Begriff „Stress“ wird häufig verwendet und meist nur als negativ aufgefasst, was so nicht stimmt. Schließlich ist Gamswild auch während der Brunft im Stress.

Stress bezieht sich auf eine Reihe physiologischer Veränderungen wie Hormonausschüttungen oder Herzfrequenz und befähigt Mensch und Tier im positiven Sinne des Stresses, mit Umweltbedingungen (Hitze, Kälte, Hunger, Durst usw.), Verletzungen besser zurechtzukommen oder bei Fluchten leistungs- und widerstandsfähiger zu sein. Durch Stress werden der Blutdruck erhöht, Energie mobilisiert, Gehirn und Muskulatur stärker durchblutet und die Aufmerksamkeit erhöht. Weiters sinkt der Appetit und Sexualverhalten sowie Sexual-interesse werden eingeschränkt oder eingestellt. Erlebnisse, die in Stresssituationen gemacht werden, prägen sich im Langzeitgedächtnis ein – dies ist uns mittlerweile aus dem Rotwildverhalten (besonders der Alttiere) hinlänglich bekannt. In eigenen Untersuchungen wurden der Einfluss der Jagdmethode und der Jahreszeit (Brunft) auf den Stresshormongehalt (Cortisol) in Harnproben gemessen. Bereits rund 10 Minuten nach einer Stressbelastung sind Stresshormone schon im Harn (auch Speichelproben wären möglich) nachweisbar, nach rund 8 Stunden auch in der Losung. Interessant an den Ergebnissen war, dass die Hormongehalte von auf gut organisierten Stöberjagden erlegten Stücken unwesentlich über jenen von Stücken lagen, die auf Einzeljagden erlegt wurden. Deutlich höher waren die Stresshormongehalte im Harn von brunftaktiven männlichen Stücken. Brunft bedeutet also auch „Stress“, ist hier aber nicht als negativ zu bewerten …

Andere Stressfaktoren oder Dauerstress können aber durchaus leistungsmindernd wirken, die Individuen krankheitsanfälliger machen und Verendensraten erhöhen. Folgen von Dauerstress sind Verhaltensänderungen, Störungen des Zuckerstoffwechsels, Wachstumsdepression, Konditionsmangel, Muskel- und Knochenschwund sowie eine deutliche Immunsuppression, also Abwehrschwäche, was wiederum Krankheitsanfälligkeit und Parasitenbefall steigert.

Psychologische Auslöser von Stress sind beispielsweise Furcht, Angst oder Rivalität. Menschliche Störungen führen bei Tieren nicht nur zu einer Erhöhung des Stresshormonspiegels (Cortisol), sondern beeinträchtigen die Fitness einer Population auch in anderer Weise. So rief das Auftreten von Paragleitern nicht nur eine deutliche Fluchtreaktion beim Gamswild hervor, sondern veranlasste es auch, längere Distanzen und mehr Höhenmeter zu überwinden bzw. seine bevorzugten Äsungsplätze frühzeitig zu verlassen und sich in bewaldete Gebiete zurückzuziehen. Durch den erhöhten Energieverbrauch einerseits und die Aufnahme qualitativ minderwertiger Äsung andererseits kommt es zu einer Abnahme von Körpergewicht und Körperfett. Ein länger dauernder erhöhter Stresshormonspiegel wirkt immunsuppressiv und führt zu Abbau von Fett, Muskulatur und Knochen und beeinträchtigt so die Fitness der Tiere und erhöht wiederum die Krankheitsanfälligkeit.

Eine Überlagerung menschlicher Aktivitäten untereinander oder mit Lebensraumfaktoren kann Reaktionen und großräumiges Ausweichverhalten sowie Änderungen des Tagesrhythmus der Wildtiere verstärken. Mancherorts wird Gamswild sogar auch schon zum Dämmerungstier. Jagdlich stieg der Druck auf das Gamswild besonders durch immer weitere Schüsse, den hohen „Jagdwert“ des Wintergams sowie vermeintliche (Hege-)Abschüsse in große Rudel. Besonders der Schuss in größere Rudel bei hoher Schneelage sei aber auch einmal aus der Sicht des Energieverlustes bei den nicht beschossenen flüchtenden Rudelmitgliedern gesehen. Zusätzlich haben Jagdgäste oft nur wenige Tage Zeit und dann muss einfach bei jeder Witterung und jedem Wind gejagt werden.

Meist erkennt man lediglich die Reaktionen auf den von sich selbst gesetzten Störreiz. Dass sich Störungen täglich häufig wiederholen können, wird dabei übersehen. Menschliche Störungen beeinflussen also das Verhalten (z. B. Veränderung der tages- oder jahreszeitlichen Aktivität), die Lebensraumwahl (Veränderung der Gebietsnutzung, vermehrt „Waldgams“, verstärkter Wildeinfluss auf den Schutzwald), die Fitness und auch die Bestandsgrößen (verminderte Fortpflanzungserfolge) von Wildtieren. Langzeitstudien belegen, dass häufiges Sichern, Flüchten und „In-Deckung-Bleiben“ eine schlechtere Kondition der Einzelindividuen verursachen, was sich auf Populationsebene auch in einer geringen Nachwuchsrate äußert, da durch die schlechtere Kondition weniger Geißen jährlich ein Kitz setzen.

Für ein Einzeltier zeigen sich die gravierendsten Folgen der Flucht im erhöhten Energieverbrauch, der wieder durch gesteigerte Äsungsaktivität wettgemacht werden muss. Oft kommt es dadurch aber zu Konzentrationen von Wild in abgelegenen Teilen des Reviers und dort dann infolge der zu hohen Dichte zu stärkeren Schädigungen durch Verbiss an der Waldverjüngung und höherem Infektionsdruck (z. B. mit Lungenwürmern). Das Ausmaß von Wildschäden wird in sehr starkem Ausmaß von der Wildverteilung beeinflusst.

Armin Deutz