Im Revier
Gams bis in die Weingärten
Gamswild ist nicht allein auf alpine Lebensräume angewiesen, wie ein Besuch in Südtirol eindrucksvoll zeigt. Dort kommt es bis in die Kulturlandschaften der Niederungen vor, solange es felsdurchsetzte Rückzugsräume gibt. Das Revier Kurtatsch, im Etschtal liegend, ist ein Beispiel dafür.

Das Südtiroler Etschtal von Meran abwärts ist eine der fruchtbarsten Regionen Mitteleuropas. Es wird vom Menschen intensiv genutzt. Auf den Talböden finden sich vorwiegend Apfelplantagen. Dort reifen jährlich etwa 900.000 Tonnen Äpfel. Zum Vergleich: Südtirol ist ähnlich groß wie das Bundesland Salzburg, doch im Jahr 2024 wurden in ganz Österreich nur 104.000 Tonnen Äpfel geerntet. 50 Prozent der italienischen Apfelernte und acht Prozent der europäischen Apfelernte stammen aus Südtirol. Auf den Hängen dominiert der Wein mit einer Rebfläche von 5.400 Hektar und einem Ertrag von 330.000 Hektolitern, davon 98 Prozent Qualitätsweine. Die Rebfläche und der Ertrag entsprechen damit ungefähr jenen der Steiermark in einem guten Jahr. Damit verbunden ist eine hohe touristische Nutzung, was sich in knapp 40 Millionen Nächtigungen widerspiegelt – etwas weniger als Nordtirol. Und trotzdem verfügt Südtirol über einen enormen Wildartenreichtum, der sich vom Hochgebirge bis in die Tallagen erstreckt. Wie es konkret aussieht, zeigt das Beispielrevier Kurtatsch, etwa eine halbe Autostunde südlich von Bozen.

Benedikt Terzer ist Geschäftsführer des Südtiroler Jagdverbandes und jagt in Kurtatsch mit: "Wir befinden uns hier auf rund 550 Meter Seehöhe. Es gibt hier relativ hohe Dichten von Rehwild und auch Gamswild kommt noch vor. Wir haben da einen sehr guten Mischwald, der sich im Grunde von alleine durchsetzt."
Jagdrevier Kurtatsch
Das Jagdrevier Kurtatsch erstreckt sich von etwa 200 bis 1.800 Meter Seehöhe bei einer Gesamtfläche von rund 2.300 Hektar. Um einen Überblick zu bekommen, dürfen wir in Begleitung von Revierleiter Fritz Kofler und Jagdaufseher Wolfgang Lochmann ausnahmsweise mit dem Wagen die Forststraße benutzen, was den "einfachen" Jägern bei der Jagdausübung untersagt ist, so es überhaupt eine Erschließung gibt. "Zwei Stunden zu Fuß muss man bei uns schon rechnen, bis man in den guten Revierteilen ist", erklärt Wolfgang Lochmann, der als hauptberuflicher Jagdaufseher für noch zwei weitere Reviere zuständig ist. "Wir haben aber keine Einschränkungen, was das Radfahren auf Forststraßen betrifft. Deshalb nutzen die Jäger immer häufiger das E-Bike, um damit in die Hochlagen zu kommen."
Vom erhofften Panoramablick ist vorerst wenig zu sehen. Dichter Hochnebel verhüllt die Felswände, die teilweise fast senkrecht nach unten abfallen. Statt Aus- und Anblick zu haben, konzentrieren wir uns vorerst auf das, was sich direkt vor unseren Füßen befindet. Bereits nach wenigen Metern auf einem den Grat entlangführenden Grenzweg zwischen Südtirol und dem Trentino hat ein Wolf Losung abgesetzt. "Für dominante Tiere ist das typisch", weiß der Jagdaufseher. "Sie setzen ihre Duftmarken auf erhöhten Punkten, um ihr Territorium abzugrenzen." Dass hier Wölfe unterwegs sind, weiß man ohnedies. "Mit dem Wolfsmonitoring ist das in Italien so eine Sache. Während in Südtirol das Forstkorps und die Jagdaufseher dafür zuständig sind, sind in anderen Regionen Freiwillige zuständig, die keine besondere Qualifikation mitbringen müssen" klagt er. "Aber das ist eine politische Entscheidung, weil in Italien vieles von Rom ausgeht und für uns nicht immer nachvollziehbar ist."
In den Wein- und Obstanlagen
"Von den 2.300 Hektar sind nur rund 1.500 wirklich bejagbar. Im Talboden unten kann man kaum jagen", erklärt Fritz Kofler. "Wir jagen dort nur ein paar Enten und Hasen, aber das wird immer schwieriger, weil sich die Ernte in den Obstanlagen über einen immer längeren Zeitraum hinauszieht, wo man mit Erntehelfern in den Anlagen rechnen muss. Wenn, dann machen wir ein kleines Vorstehtreiben, wobei die Durchgeher am ehesten Anlauf haben." Etwas anders ist es bei den Rehen. 50 Stück stehen am Abschussplan und in den Weingärten fühlen sich Rehe nicht unwohl.
Hans Peter Widmann führt uns durch seinen Weingarten. Neben einem kurzen Briefing in Sachen Weinbau kommt auch der Wildeinfluss zur Sprache: "Hier im Weinbau fühlt sich das Rehwild sehr wohl und ist eigentlich das ganze Jahr über anzutreffen. Im Frühjahr wird der Abschuss vom Rehwild schon im Mai getätigt: Jahrlingsböcke, Schmalgeißen und auch Trophäenböcke sind in der Kulturlandschaft ab 1. Mai frei, weil die Rehe sehr gerne die jungen Triebe verbeißen und lokal auch größere Schäden machen. Das Verfegen hingegen ist eher in Obstanlagen ein Problem. Der Hase findet im Weinbau auch ein ideales Habitat, weil er in den Hängen trockene Bedingungen vorfindet. Es gibt dort keine Staunässe. Ab Februar/März gibt es hohe Temperaturen, die für die Junghasenentwicklung gut sind. Der Hase würde Schäden im Jungfeld machen, bei einer Neupflanzung von Weinstöcken, weil er die Triebe vom Setzling abfressen kann. Im Ertragsweinbau ist er kein Problem.
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