Eine Frage des Charakters

Haben Haus- und Wildtiere einen bestimmten Charakter? Lange zweifelten Wildbiologen daran, doch neue wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen eine eindeutige Sprache.

Noch gut erinnere ich mich daran, als ich als Junge regelmäßig vor unserem Schweinestall saß und mir Gedanken darüber machte, ob die Ferkel genauso verschieden wären wie wir Menschen. Schnell wurde mir damals klar, dass es individuelle Unterschiede geben musste. Fiel mir ein Fußball in die Schweinebox, gab es Ferkel, die sich schnell und neugierig dem ungewöhnlichen Gegenstand näherten, während sich andere in die Ecke verzogen oder sich hinter der Muttersau versteckten. Dabei waren es immer dieselben, die sich als vorwitzig oder ängstlich herausstellten. Von meinem Opa für meine Charaktertheorie ausgelacht, begrub ich meine Vermutung für einige Jahre. Auch die damalige wissenschaftliche Lehrmeinung lautete, dass Tiere im Wesentlichen wie starre Maschinen arbeiten. Man ging davon aus, dass Tiere, die im gleichen Lebensraum leben, auch alle mehr oder weniger gleich „funktionieren“. Die Umwelt gibt die Rahmenbedingungen vor – und die darin lebenden Tiere sind an den Zustand angepasst. Tieren Charaktereigenschaften zuzuweisen war daher lange verpönt, galt sogar als unwissenschaftlich. 
Seit einiger Zeit ist jedoch bekannt, dass es auch unter Tieren verschiedene Persönlichkeiten gibt. Diese Persönlichkeitsunterschiede führen zu unterschiedlichem Verhalten. Welche charakterlichen Merkmale ein Tier aufweist, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Sie werden zunächst von den genetischen Voraussetzungen der Elterntiere bestimmt. Denn Charakter ist vererbbar. Er ist jedoch auch von Erfahrungen und Lebensumständen beeinflusst. Selbst die körperliche Verfassung kann einen Einfluss ausüben. Bemerkenswert ist, dass charakterliche Eigenschaften innerhalb der Individualentwicklung bereits im Mutterleib manipuliert werden können. Wie dies geschieht, wird anhand eines Beispiels an Murmeltieren deutlich. So fanden österreichische Forscher heraus, dass Weibchen (Katzen), die im Mutterleib mit überwiegend männlichen Geschwistern groß wurden, später bestimmte wiederkehrende charakterliche Eigenschaften aufwiesen. Auffällig waren diese Weibchen insofern, als sie sich in der Regel deutlich aggressiver als Geschlechtsgenossinnen verhielten, die aus Würfen mit geringerem Männchenanteil stammten. Im Verlauf ihrer Entwicklung erwiesen sich diese Weibchen auch als besonders durchsetzungsstark und hatten später eine signifikant größere Chance, einen hohen Rang im Verband einzunehmen. 


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