Das Geweih und das Licht

 

Zyklischer Aufbau, Fegen und Abwurf von Geweihen sind ein hormonell und neuronal kontrollierter Prozess, der über die Länge des Tages gesteuert wird. Hierbei spielt das Testosteron eine sehr wesentliche Rolle. 

 

Von Konstantin Börner

 

 

Untersuchungen haben bestätigt, dass eine geringe Menge an Testosteron für Beginn und Wachstum der Geweihe erforderlich ist, wohingegen höhere Konzentrationen für das Abstoßen des Bastes und Verknöchern der Geweihe benötigt werden. Fällt der Testosterongehalt unter einen kritischen Wert, werden die Stangen oder Schaufeln abgeworfen. Neben der hormonellen Kontrolle ist die Synchronisierung der Abläufe ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Diese Synchronisierung wird durch die unterschiedlichen Tageslängen im Jahresgang gesteuert. So wird sichergestellt, dass es zu den erforderlichen jahreszeitlichen Anpassungen kommt. Fehlt dieser Taktgeber, kommt es zu einer Entkoppelung. Insbesondere für Arten aus den gemäßigten und borealen Regionen der Erde ist es überlebensnotwendig, auf die periodischen Änderungen der Nahrungsverhältnisse zu reagieren. Nur so wird gewährleistet, dass Rotwildkälber oder Rehkitze in einer Zeit gesetzt werden, in der ausreichend Äsung zur Verfügung steht und das Jungwild nicht verhungern muss.

 

Am Äquator ist alles anders

Schalenwildarten wie der Rusa- oder Davidshirsch kennen aufgrund ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes (Rusahirsch: Indonesien, Davidshirsch: Südchina) wegen der Nähe zum Äquator übrigens keine Saisonalität. Sie ist auch nicht nötig, da jahreszeitliche Schwankungen nur gering oder gar nicht auftreten. Man kann auf der beliebten Ferieninsel Mauritius – auf der Rusahirsche eingebürgert wurden – 
daher zu jeder Zeit Hirsche in den verschiedenen Stadien ihres Geweihzyklus antreffen. So ist jener auch nicht an den Fortpflanzungszyklus gekoppelt. Wann das Geweih geschoben, gefegt und abgeworfen wird, hängt am Äquator von der Geburt des Stückes ab. Interessant ist dabei, dass die einzelnen Phasen des Zyklus Jahr für Jahr zur selben Zeit ablaufen. Ein Hirsch, der im Juni abwirft, wird dies also ein Leben lang beibehalten. Bemerkenswert ist auch, dass diese Arten zu jeder Zeit des Jahres fruchtbar sind.

 

Zwei Geweihe pro Jahr

Würde man unsere Hirscharten in die Tropen umsiedeln, dann würde sich der Geweihzyklus ebenfalls von den Jahreszeiten entkoppeln, da die Tageslängen (Tag/Nacht) als Taktgeber entfallen. Im Tierversuch konnte bei einem Sikahirsch, der unter Bedingungen, wie sie am Äquator herrschen – also zwölf Stunden Tag, zwölf Stunden Nacht –, gehalten wurde, festgestellt werden, dass nach Abwurf des Geweihs mehrere Jahre keine neuen Stangen geschoben wurden. Wird die Fotoperiode bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren manipuliert, so hat dies großen Einfluss auf den Geweihzyklus. Um herauszufinden, welchen Effekt das Sonnenlicht genau auf die Geweihentwicklung nimmt, hielten zum Beispiel Wildbiologen Damhirsche in einer Halle, die völlig vom Sonnenlicht abgeschirmt war. Den Hirschen wurden durch entsprechende Lichtverhältnisse zwei Jahre vorgegaukelt, obwohl tatsächlich nur 365 Tage vergangen waren. Das Ergebnis war, dass die Hirsche innerhalb eines (echten) Jahres zweimal ein Geweih schoben.