Der Generationenbock

 

Eigentlich widerstrebt es mir, auf einen noch grauen Bock zu weidwerken. Doch diesmal gebe ich mir einen Ruck. Schließlich sind die Vorzeichen ganz besondere ...

Von Thomas Hinterecker

 

 

Ob meine Prägung, meine Erziehung oder schlichtweg nur Gewohnheit dafür verantwortlich sind? Ich kann es nicht sagen. In jedem Fall jage ich auf den alten Bock lieber, wenn ihn eine rote, sommerliche Decke ziert. Und am allerliebsten, ganz klar, tu ich das an einem schwülen Augusttag mit dem Blatter in der Hand. Liegt er hingegen grau – oder vielmehr struppig – im Haarwechsel auf der Strecke, empfinde ich es, als läge der Bock nicht in voller Würde und Schönheit vor mir. In anderen Gegenden Europas wie unserem deutschen Nachbarland, wo Jagdkultur normalerweise sehr hoch angeschrieben wird, nimmt man dies bekanntlich ja nicht mehr ganz so genau. Angefeuert durch die ehrgeizige Idee, den Wald nun endgültig von der Geißel der verbeißenden und schälenden Forstschädlinge zu befreien, würde meine Vorliebe dort wohl überhaupt keinen Anklang mehr finden. Denn dort wird der Bock teilweise ganzjährig, egal ob abgeworfen oder im Bast, auf seine graue Decke gelegt. Aber auch in unserem pannonischen Nachbarland werden die Böcke vorwiegend im Frühling erlegt. Dort hat diese Tradition in der landwirtschaftlichen Ebene vor allem praktische Hintergründe. Später im Jahr wäre mein Lieblingswild in der hohen Frucht schlichtweg nicht mehr zu finden. Zugegeben, man muss in der Geschichte nicht weit zurückgreifen, in eine Zeit, als der Trophäe weit weniger Bedeutung beigemessen wurde, wo dies auch bei uns so war. Entweder weil schlichtweg die Wildbret- bzw. Nahrungsgewinnung Antrieb zur Jagd war oder weil, rückblickend weniger ehrenhaft, herrschaftliches Streben nach großen Jagdstrecken, ebenfalls anfangs ohne Interesse an der Trophäe, vorherrschte. Erst im Laufe des letzten Jahrhunderts änderte sich der Fokus in Richtung eines wahren Trophäenkults, dem alles andere Schöne an der Jagd nahezu untergeordnet wurde. Heute wächst wieder ein durchwegs ausgewogenes Verhältnis zu Krickeln, Geweihen und Krucken. Man erfreut sich an einer außergewöhnlichen, vielleicht starken oder abnormen Trophäe, doch ist sie längst nicht mehr alleiniger Antrieb zur Jagd und auch die schwierige Erlegung eines passenden, nicht trophäentragenden Stücks erfüllt uns mit Stolz. Wir haben uns weiterentwickelt und können uns auch wieder mit all den anderen schönen Facetten der Jagd motivieren und darin Antrieb zu unserem Tun finden.

 

 

Vielleicht gerade deswegen empfinde ich es als „sportlicher“, erstrebenswerter und spannender, auf einen reifen und eben roten Bock am Ende der Brunft zu blatten, als ihn an einem frühlingshaften Morgenansitz ins erste Grün der frisch spießenden Wiese zu legen. Doch ist dies heute wohl eher in die Kategorie „persönliche Befindlichkeit“ einzuordnen. Aber unsere Zeit bringt es mit sich, dass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man sich nicht für Neues öffnet und als Mittvierziger den Eindruck erweckt, nicht mit der Zeit zu gehen. Also nehme ich die Einladung meines Vaters an, am 16. Mai in seinem schönen Waldrevier in den niederösterreichischen Voralpen, genauer gesagt im schönen Mostviertel, nahe dem Stift Seiten­stetten, auf einen besonders alten Herrn zu weidwerken. Hier ist die Jagd auf den Bock seit einigen Jahren eben schon um diese Zeit erlaubt und sogar erwünscht. Mein Vater kennt ihn schon über Jahre und heuer hat er ihn im Kalkgraben, nahe der Kalkgrabenhütte, sehr sorgfältig bestätigt und für dessen Erlegung sogar einen eigenen neuen Hochstand samt Pirschsteig errichtet. Meinen Ältesten, der mit seinen elf Jahren schon einiges an Jagdpassion entwickelt hat, dauerte die jagdruhige Zeit heuer ohnehin schon zu lange und so will sich auch er seinen Wecker an diesem Maimorgen früher als gewohnt stellen. Irgendwie haben alle meine drei Kinder eine gewisse Affinität zur Jagd entwickelt und so kommt es kaum mehr vor, dass ich eine Pirsch ohne einen meiner Jägersprösslinge antrete. Gut, dass wir fast alle Hochstände in meinem eigenen Revier breit genug gebaut haben, so hat man nötigenfalls auch zu viert Platz.

 

Die ausführliche Erzählung finden Sie in unserer Mai-Printausgabe. Kostenloses Probeheft anfordern.