Neue Serie: Vererbt und angeboren

 

 

Moderne Wildtierbiologie kann man sich ohne genetische Analysen längst nicht mehr vorstellen. Egal, ob es sich um Flaschenhals-Situationen bei isolierten Populationen oder um den Nachweis individueller Merkmale von Einzeltieren handelt: Dieses neue Fachgebiet ist zu einem Kernelement in der Forschung geworden. Florian Kunz beschäftigt sich in dieser Jahresserie mit den direkten Auswirkungen der neuen Disziplin auf die Jagdpraxis.

 

 

Alpines Steinwild: Eine genetische Erfolgsstory?

 

Nach der Beinahe-Ausrottung des Steinwildes im 19. Jahrhundert konnte aus wenigen Individuen in einer einmaligen Erfolgsstory der Alpenbogen wiederbesiedelt werden. Die heutigen Bestände sind zwar zahlreich, aber haben sie sich wirklich schon erholt?

 

Der Alpensteinbock ist wohl eine der charismatischsten Arten der heimischen Fauna. Oft als Könige der Alpen bezeichnet, überblicken reife Böcke in augenscheinlicher Ruhe die Landschaft. Robust widerstehen die Geißen auch den widrigsten Umständen des alpinen Lebensraums und Klimas und führen die Geiß-Jungtier-Rudel. Steinwild bei seiner Lebensweise in den Alpen zu beobachten war allerdings nicht immer möglich. Anfang des 19. Jahrhunderts fast ausgerottet, ist die Wiederbesiedelung der Alpen durch Steinböcke und Steingeißen nur größten Mühen zu verdanken. Nicht unwesentlich war dabei wohl auch die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit der Tiere selbst.

 

Eine bewegte Geschichte

Die (uns bekannte) Geschichte der Ahnen heutiger Steinböcke in den Alpen beginnt viele Tausend Jahre in der Vergangenheit in der Mindel-Riß-Warmzeit vor etwa 340.000 bis 325.000 Jahren. Lange Zeit waren die Bestände vermutlich gut erhalten, wenn auch fluktuierend, bedingt durch die klimatischen Veränderungen der Eiszeiten. Mit der zunehmenden Besiedelung der alpinen Landschaften durch den Menschen nach der letzten Eiszeit (der Würm-Kaltzeit, bis vor rund 10.000 Jahren) gerieten Steinböcke vermehrt unter Druck, hauptsächlich aufgrund unkontrollierter, intensiver Bejagung und Wilderei. Problematisch wurde der Rückgang aber erst in den letzten Jahrhunderten. Während die Bestände der Ostalpen im 16. Jahrhundert verloren gingen – bis auf eine Kolonie im Zillertal, die letztlich ebenfalls ausstarb –, konnte sich Steinwild in den Westalpen bis ins 18. Jahrhundert halten. Obwohl der dramatische Rückgang langsam sichtbar wurde, wie einzelne anekdotische Briefe und Aufzeichnungen aus der Zeit belegen, konnte dem Verschwinden nicht mehr Einhalt geboten werden. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts war nur mehr eine Population erhalten, jene im berühmten italienischen Gran-Paradiso-Gebiet. Dies realisierend, wurden 1821 erste Schutzbestimmungen des Hauses Savoyen für dieses Gebiet erlassen. 35 Jahre später erstand der damalige König Vittorio Emanuele II. die Region als Jagdgebiet und formierte eine Gruppe von Wildhütern, um der zunehmend florierenden Wilderei Einhalt zu gebieten. Nach Übergabe des Gebietes an die italienische Regierung im Jahr 1919 wurde drei Jahre später daraus ein Reservat und schlussendlich ein Nationalpark. Während der gesamten Zeit konnten dort dank der verschiedenen Schutzbemühungen die letzten Steinböcke des Alpenraums überleben, in einer ungefähren Populationsgröße von hundert Tieren. 

Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Interessen stark, Steinwild wiederanzusiedeln. Vor allem Schweizer Institutionen bezahlten hohe Preise für Steinkitze, welche illegal im Gran-Paradiso-Gebiet eingefangen wurden. Zahlreiche Korrespondenzen geben spannende Einblicke in die anfänglich illegalen Beschaffungsaktivitäten und beschreiben durchaus absurd anmutende Situationen. So wurden beispielsweise durch Wilderer illegal gefangene Kitze bei der Einfuhr in die Schweiz regulär verzollt und versteuert und bekamen Begleitdokumente im vollen Bewusstsein ihrer illegalen Herkunft. Ab den 1930er-Jahren entwickelte sich dann auch ein offizieller Handel. Insgesamt kamen mehrere Hundert Steinböcke über die Grenzen in die Obhut und Zucht verschiedenster Organisationen oder Privatpersonen. Daraus folgten zahlreiche Wiederansiedelungsversuche im Alpenraum – anfänglich vor allem in der Schweiz–, von denen die meisten jedoch erfolglos blieben. Eine gewisse Berühmtheit erlangten dabei vor allem die Steinböcke aus St. Gallen, welche 1911 als erste erfolgreiche Auswilderung in der Schweiz galten. 

 

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