Jagd heute

 

 

Daheim in einer Landschaft der „Flucht“ ...

Angst ist eine der existenziellen Erfindungen der Natur. Eine fein abgestimmte, reaktionsschnelle Alarmanlage des Körpers, in den Jahrmillionen der Evolutionsgeschichte entwickelt, um dem allerhöchsten Ziel zu dienen: dem Überleben. Ja, Angst ist eine körperliche Reaktion. Und nein, sie läuft beim Tier nicht anders ab als bei uns.

 

 

 

Am 6. und 7. Oktober fand in St. Jakob im Defereggental die 26. Wildtiermanagement-Tagung des Nationalparks Hohe Tauern statt. Das Thema war diesmal die „Landschaft der Furcht“. Beatrix Sternath hat sich die Vorträge angehört und alle Wortmeldungen im Detail betrachtet: Acht Vortragende, davon drei Tierärzte. Acht Vortragende, davon vier Frauen. Ein Raum voller Zuhörer, davon viele bekannte, interessierte Gesichter, kaum Neuzugang, kaum jagdliche Jugend. Schön – die Treue – und schade: Die, denen die Denkanstöße guttäten, sind nie da.

 

Landschaft der Furcht

Nationalparkdirektor Hermann Stotter lieferte in seiner Begrüßung den genialen Versprecher „Landschaft der Flucht“ anstelle von „Landschaft der Furcht“ und sagte damit eigentlich schon alles. Es wird nicht einfach sein, nach diesen Stunden hinauszugehen ins Revier, mit dem aufgefrischten Bewusstsein, wie Wildtiere in diesen Zeiten innerhalb ihrer enger werdenden Welt „gehetzt“ werden. Auch wenn wir wissen, dass die Jagd, verantwortungsvoll ausgeübt, dabei eine geringe Rolle spielt.

Andreas Duscher, ÖBF, begann mit der Geschichte des Begriffs „Landscape of fear“, erstmals vor gut 20 Jahren in den USA so genannt. Der Begriff sagt aus, dass Tiere ihren Aufenthaltsort in erster Linie danach wählen, wie gefährlich er ist. Nahrung braucht schließlich nur der, der selbst nicht gefressen wird. Mit seinem Thema „Wissenschaft vs. Praxis“ stellte Duscher mit dreidimensionalen Grafiken und dem Zitieren zahlreicher großteils englischer Arbeiten genau das dar, was dann auch in der anschließenden Diskussion ausgesprochen wurde: Wer nutzt diese Daten, wer versteht sie überhaupt? Und wie sieht es mit den „Gschichtln“ der Praktiker aus, der Landwirte, der Förster, der Jäger? Sind sie glaubhaft oder verselbstständigen sie sich im Lauf der Weitergabe? Interessanterweise nannte Duscher als „Betroffene“ der Landschaften der Furcht, also der Einengungen der Lebensräume durch Prädatoren und Gefahren, nicht in erster Linie die Tiere, sondern Menschen. Die Assoziation zur Motorsäge kreischt in den Ohren. Die Menschen verstehen einander nicht, weil sie falsch darstellen, falsch interpretieren, von unterschiedlichen Fakten, Zeiten, Effekten ausgehen. Weil keiner die Unterschiedlichkeit, die Komplexität des tierischen Daseins ganz erfassen kann. Da heult auch das Paradebeispiel Wolf auf.

 

Das Schwein im Bett

Im Gegensatz dazu irritierte Tierärztin Uli Gissing mit Bildern von geküssten Füchsen, im Arm gehaltenen Gänsen und Schweinen, die mit Menschen zusammen im Schlamm kuscheln. Sie stellte die Irrationalität der Beziehung zu Tieren in der heutigen Gesellschaft dar. Schwankend zwischen dem Schwein in der Massentierhaltung und dem Schwein im Bett. Schwankend übrigens auch zwischen Zahlen von Schlachtungen und im Vergleich dazu minimal wirkenden jagdlichen Abschusszahlen. Die Stellung des Tieres in der Gesellschaft entwickelte sie schlüssig aus der Geschichte: tierische Götter in den frühen Hochkulturen, die Abspaltung von Gott und Mensch von der Natur in den monotheistischen Religionen, bis hin zum Tier als Wirtschaftsfaktor. Und zur Dekadenz des wieder vermenschlichten „Gottes“ Heimtier, im Gegensatz zur völligen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Tierwelt im Freizeitverhalten. Gut auch die Überlegung, woher die Einstellung gegenüber Tieren im Einzelnen kommt: Familie? Gruppendynamik? Es lohnt sich, darüber nachzudenken!

 

 

 

Fünf Jahre Angst

Armin Deutz nahm den Stress aufs Korn. Schon interessant, wie omnipräsent dieses Wort in der Gesellschaft ist und wie wenig darüber nachgedacht wird, was Wildtiere diesbezüglich zu erleiden haben. Und da darf im Kleinen begonnen werden. Zum Beispiel bei der neuerdings überall sichtbaren solarbetriebenen Gartenbeleuchtung. Und warum denken Tierschützer zwar an „unmenschliche“ Tierhaltungen, nicht aber daran, was unser egozentrisches Verhalten an tierschutzrelevanten Stress-Auslösern für Wildtiere bereithält? Es fällt der Ausdruck „Hopelessness“ (Hoffnungslosigkeit) bei Straßenopfern, die noch lebend von Schaulustigen bestaunt werden. Das phänomenale Gedächtnis des Rotwilds wird beschrieben, das schlimme Erlebnisse fünf Jahre lang bewahren kann. Fünf Jahre Angst. Vom Hitzestress bis zu den heute alltäglichen Hubschrauberflügen. Vom Paragleiter bis zur Stöberjagd. Das Thema förderte sogar beim Zuhören die Cortisol-Ausschüttung.

Christopher Böck am nächsten Tag: Nein, als Beutegreifer ist der Mensch von der Natur eigentlich nicht gut ausgestattet. Wirtschaftliche und soziale Faktoren machen es nicht leichter. Aber er kann planen, effiziente Technik erfinden, hat mehr Motive zur Jagd als der tierische Prädator, nicht nur die Schaffung von Ressourcen. Ethische Vorgaben und Belange der Wildbrethygiene hat er allerdings auch zu beachten. Sein Wissen macht den Menschen ungleich erfolgreicher, aber nicht „besser“. Nach den schlüssigen Vergleichen kam das Plädoyer: Wir Menschen könnten berücksichtigen, was wir wann und wo jagen und welche Wechselwirkungen wir damit auslösen. Tun wir es auch!

 

Im Lebensraum Raum schaffen!

Man kennt den Einsatz von Veronika Grünschachner-Berger für die Lebensräume des Wildes. Sie brachte auf den Punkt, was heute Thema ist: Wir müssen den Wildtieren in IHREM Lebensraum Raum verschaffen. Traurig, aber wahr. Und das im Wissen ihrer einzigartigen Sinneswelt, ihrer Störanfälligkeit. Denn Störung ist alles, was nicht zur normalen Umwelt gehört! Die Kaskade von Störung über Reaktion, Erregung, Verhalten bis hin zu Verlust von Kondition und Fitness, bis hin zu Verlust von Lebensraum. Wie steinig ist der Weg, diese Fakten zu vermitteln, Entscheidungen zu erwirken, die Spirale nach unten aufzuhalten. Information fruchtet offenbar dann am besten, wenn sie von den „eigenen Leuten“ kommt. Also von Radler zu Radler. Von Freerider zu Freerider. Vom Alpenverein zu denen, die meinen, die Alpen gehören ihnen. Ein hilfreicher Gedanke und trotzdem beschämend.

Martina Just vom Tiroler Jägerverband beschrieb dieselben katastrophalen Zustände der Freizeitgesellschaft. Immer neue Sportarten, neue Bespaßung. Will die Gesellschaft überhaupt noch eine Tierwelt? Gibt es überhaupt noch die Bereitschaft, dem Wildtier ein klein wenig Platz zu lassen? Will sich noch jemand einschränken? Die vordergründig bevölkerungsbeschützenden Aktivitäten der Forstwirtschaft inbegriffen! Menschen, die den kranken Wald verarzten, den sie vor Jahrzehnten selbst der Natur entfremdet haben, stehen heute genauso heldenhaft da wie all die auf Gipfel radelnden Outdoor-Helden in den sozialen Medien. Ruhezonen, wie sie in der Schweiz seit Langem eingerichtet sind, stellen eine kleine Chance dar. Einfach ist es auch nicht. Denn wieder darf einer etwas, was der andere nicht darf. Immerhin sind die Schweizer bereit, sich Vorschriften zu beugen. Nichts versuchen gilt aber auch nicht, denn steter Tropfen höhlt den Stein!

Tja, und Berufsjäger Stefan Pfefferle sagte dann noch, was wir als Jäger zur Landschaft der Furcht beitragen. Und wie man diesen Einfluss mindern kann. Zugreifen, wenn es passt, und sonst Ruhe geben. Sich nicht erkennen lassen. Sich beschränken, selbst räumliche und zeitliche Ruhezonen einhalten. Auf manche althergebrachte Jagdart und Jagdzeit verzichten. Die Jagd geht mit lebenden Tieren um. Tun wir es mit Gefühl.

Persönlich bleibe ich bei dem zuvor Bemerkten. Ich verspüre nach den Tagen in St. Jakob, so befruchtend, spannend und menschlich erfreulich sie wie immer waren, Enge in der Brust, wenn ich mit dem Gewehr im Gepäck einen Wald betrete, der seit Wochen in allen Dickungen von hysterischen, geradezu kriegerischen Pilzesuchern durchkämmt wird. Wenn alle diese Menschen andere Kreaturen aus ihren Gedanken ausschließen: Sollte ich nicht besser sein? Ein erfolgreicher Beutegreifer, aber besser?