Jagderlebnis

 

 

Doppelte Premiere

Heute sollte es den Wildschweinen gelten und mit mir im Wagen waren neben meiner unverzichtbaren Brackenhündin Artemis gleich zwei Büchsen ... 

 

 

 

Es war ein schöner Nachmittag im Mai, an dem ich voller Vorfreude auf das kommende Jagderlebnis meinen Pick-up ins nördliche Weinviertel steuerte. Dort bejagt Weidkamerad H. ein wunderschönes, direkt an der Staatsgrenze zu Tschechien gelegenes Waldrevier. Neben verschiedenem Niederwild ziehen dort Rot- und Rehwild ihre Fährte und natürlich auch jede Menge Sauen, denen mein heutiger Ansitz gelten sollte.

 

Die hier beschriebene Jagd liegt schon beinahe ein Jahrzehnt zurück, ist mir aber noch sehr gut in Erinnerung. Ich muss allerdings gestehen, dass mir das Wann, Wo und Wie ich den Jagdherrn kennengelernt habe, nicht mehr präsent ist. Jedenfalls durfte ich über einige Jahre hinweg immer wieder einmal seine jagdliche Gastfreundschaft genießen und selbstständig in seinem Revier weidwerken. Auch meine Artemis hat H., seines Zeichens Tierarzt, in dieser Zeit bestens betreut. Irgendwann ist der Kontakt dann nicht zuletzt wohl wegen meiner Rückübersiedelung in die südburgenländische Heimat nach und nach abgerissen.

 

Heute sollte es den Wildschweinen gelten und mit mir im Wagen waren neben meiner unverzichtbaren Brackenhündin Artemis gleich zwei Büchsen. Zum einen hatte ich mir kürzlich in meine bewährte  8-mm-Mauser (8mm-06AI für alle, die damit was anfangen können), die mich schon auf Jagden auf drei Kontinenten begleitet hatte, bei einem unter anderem für seine präzisen Läufe bekannten Tiroler Büchsenmacher einen neuen Lauf im Kaliber .270 Winchester einbauen lassen. Nachdem ich die Waffe mit meinen „selbstgestopften“ formstabilen Messinggeschoßen eingeschossen hatte, sollte die alte neue Waffe heute zum ersten Mal im jagdlichen Einsatz stehen. Büchse Nummer zwei war eine Steyr Mannlicher 7 mm Rem. Mag., die H. von seinem Vater geerbt hatte. Vor einigen Wochen zeigte er mir die Büchse, welche sich in einem traurigen Zustand präsentierte. Sie hatte sicher in den letzten zehn Jahren keinen Tropfen Öl gesehen und sah entsprechend aus. Der Lauf war verdreckt und auch das sechsfache Zielfernrohr hatte schon bessere Tage gesehen. Ich solle mir das Gerät ansehen und schauen, was sich daraus noch machen ließe. Ich hatte also den Lauf chemisch gereinigt, so gut es ging alle Metallteile geölt und auch den ebenfalls nach Öl lechzenden Schaft etwas aufgefrischt. Dann ging es ab zum Schießstand, wo ich eine angenehme Überraschung erlebte. Ich schoss als Erstes drei meiner südafrikanischen Messinggeschoße zum „Durchputzen“ und erzielte eine Gruppe mit unter 20 mm Streukreis! Keine der mir von H. zur Verfügung gestellten Werkslaborierungen konnte da mithalten und so hatte ich auf seinen Wunsch das alte Zielfernrohr gegen ein modernes Glas mit Leuchtpunkt getauscht, die Waffe mit den rasanten Flitzern eingeschossen und würde sie ihm heute übergeben.

 

Wir trafen einander bei seiner Jagdhütte im Revier und, nachdem Waffe und einige Neuigkeiten ausgetauscht waren, wies mir H. einen Sitz an und ich fuhr los. Zwar war ich auf dieser offenen Kanzel noch nie gesessen, war aber mit den Örtlichkeiten so weit vertraut, dass ich keine Mühe hatte, sie zu finden. Das Auto ließ ich in einiger Entfernung stehen, schnappte Rucksack und Büchse, leinte die treue Bracke an und stapfte los. Bald hatten wir den Platz erreicht und richteten uns ein, ich auf der Kanzel und Artemis darunter. Vor uns lag ein etwa 100 mal 200 Meter großer Schlag, vorne und links von dichtem, rechts von eher lockerem Mischwald eingesäumt. Ein Ziehweg verlief von rechts hinten kommend, um vor mir im Wald zu verschwinden. Etwa 100 Meter vor der Kanzel, knapp am gegenüberliegenden Waldrand, hatten sich in der Fahrspur einige Lacken gebildet, die, wie mir ein Blick durch den Feldstecher zeigte, stark vom Schwarzwild als Suhle angenommen wurden. Unter einigen gleich daneben aufgeschichteten Holzprügeln musste sich Kirrgut befinden, das dem Platz für die Schwarzkittel zusätzliche Attraktivität verleihen sollte.

 

Wir waren früh dran und ich genoss den lauen Abend und das nach und nach schwächer werdende Konzert der Singvögel. Artemis hatte sich mittlerweile auf ihrer Decke eingerollt. Ich war einerseits herrlich entspannt, andererseits verspürte ich jenes Gefühl, das nur wir Jäger in der Form kennen, wenn wir jagen und natürlich auch gerne Beute machen wollen. Meinen Gedanken ließ ich freien Lauf und schon bald lief ein jagdliches Erlebnis vor meinem inneren Auge ab, das mir erst vor wenigen Wochen in diesem schönen Revier unweit von dem Ort, an dem ich gerade ansaß, zuteilgeworden war. Neben dem hervorragenden Bestand an Schwarzwild zeichnet sich H.s Waldrevier auch durch einen vorzüglichen Schnepfenstrich aus. Ich liebe die Frühjahrsjagd auf den Schnepf, die damals zum Glück noch erlaubt war. An jenem Abend war ich wieder einmal zusammen mit Artemis mit meiner leichten 28er-Bockflinte ausgerückt. H. als gestandener Bergjäger bejagte die Schnepfen nicht, wohl auch deshalb, weil er zwar eine gerade und sichere Kugel schoss, sich aber mit den Schroten nie hatte anfreunden können. Damals gelang mir zwar keine echte Dublette auf ein Stecherpärchen, doch gelang es mir, innerhalb weniger Minuten zwei einzeln streichende Langschnäbel mit je einem sauberen Schuss vom Himmel zu holen. Da ich alles erlegte Wild verwerte und nur Wild erlege, das ich verwerten kann, hat mir meine liebe Gattin die beiden Vögel auch herrlich zubereitet. Mit viel Beilage und einer guten Flasche Grünem Veltliner haben wir ihnen dann die letzte Ehre erwiesen.

 

 

 

Plötzlich riss mich eine Bewegung am rechten Bildrand aus meinen Gedanken! Fuchs? Nein! Ein sehr starker Marder überquerte in der für seinesgleichen so charakteristischen Fortbewegungsart den Schlag und ich verfolgte ihn mit meinem Glas, bis er links von mir wieder im Unterholz verschwand. Mittlerweile war es schon recht dunkel geworden, der Dreiviertelmond stand rechts hoch am Himmel und die Bäume warfen gespenstische Schatten auf die freie Fläche vor mir. Ich wunderte mich, noch kein einziges Reh gesehen zu haben, und da fiel mir ein Erlebnis ein, das ich ganz in der Nähe im letzten Spätsommer gehabt hatte. H. hatte mich auf Sauen angesetzt und mich auf eine Rehgeiß hingewiesen, die eine riesige Geschwulst zwischen den Hinterläufen hatte und auf jeden Fall zu erlegen wäre. Er selbst war ihr schon zweimal tagsüber begegnet, aber nicht zu Schuss gekommen. An jenem Abend kamen zwar keine Sauen, dafür tauchte die beklagenswerte Rehgeiß auf. Die Geschwulst hatte bereits die Größe eines Fußballs und sie musste unerträgliche Schmerzen haben, da sie offensichtlich nur mehr mit großer Mühe ziehen konnte. Da musste ich nicht lange ansprechen und überlegen. Die kleine Kugel aus dem Einstecklauf meines Drillings machte dem Leiden ein Ende. Für H. als Tierarzt war der Fall natürlich hochinteressant und er machte sich sofort an die Untersuchung des Rehes, das ich auf seinen Wunsch noch nicht aufgebrochen hatte. Ich durfte leuchten und assistieren, schon bald war die Diagnose erstellt: Die steinalte Geiß hatte beim Setzen einen Riss der Bauchdecke erlitten und nach und nach waren große Teile des Gescheides aus der Bauchhöhle ausgetreten. Die Kitze, wenn sie nicht schon tot gesetzt worden waren, hat sie nicht mehr durchgebracht. Das Stück musste natürlich entsorgt werden. Ich aber war zufrieden mit dem Hegeabschuss. Auch das ist Jagd.

 

Lautes Schrecken mehrerer Rehe ließ mich augenblicklich von der Vergangenheit in die Gegenwart wechseln! Das Schrecken kam von vorne, keine 300 Meter entfernt, so schätzte ich. „Das hört sich gut an!“, sagte ich zu mir selbst. Bald darauf kündigte lautes Brechen und Grunzen den Besuch der Sauen an. So wie sich die Rasselbande anhörte, rechnete ich mit einer Rotte „Halbstarker“. Die Rehe waren wieder verstummt, das Knacken und Brechen kam näher und näher und schließlich schoben sich nach und nach fünf Überläufer aus dem Wald. Nachdem ich sie alle als etwa gleich stark angesprochen hatte, wollte ich natürlich eine der Sauen erlegen und nahm meine Mauser zur Hand. Die Sauen hatten sich mittlerweile am unter den Holzprügeln versteckten Mais zu schaffen gemacht, wechselten ständig die Position und standen einmal zu dicht beisammen, einmal im Schlagschatten eines Baumes. Schließlich stand eine ideal breit, der rote Leuchtpunkt kam hinter dem Vorderhammer zu stehen und der Schuss brach. Augenblicklich war die Bühne leer. Artemis war natürlich hellwach, sah mich fragend an und blieb im Übrigen völlig ruhig. Sie wusste aus langer Erfahrung, dass „Herrli“ eine Weile zu warten pflegt, ehe es zum Anschuss geht. Also ließ ich einige Minuten später meine Hündin zurück, um den Anschuss zu inspizieren. Die Stelle war leicht zu finden, jedoch konnte ich im Licht der Taschenlampe keinen Schweiß sehen. Ich war mir sicher, gut getroffen zu haben, und weit konnte der Schwarzkittel nicht gekommen sein. Also zurück und Artemis an den Schweißriemen genommen. Wofür hat man einen vierbeinigen Begleiter? Was nun folgte, war „Kurzarbeit“ für den erfahrenen Hund. Die Sau lag mit sauberem Kammerschuss nur zehn Meter vom Anschuss entfernt. Eine hohe Grasnabe am Wegrand hatte mir die Sicht zum verendeten Stück verwehrt. Sehr freute ich mich über das erste Stück mit dem neuen .270er-Lauf! Rasch hatte ich das etwa 30 kg schwere „Küchenschwein“ aufgebrochen, aufgeladen und fuhr gegen 22 Uhr zurück zum Jagdhaus. Dort erwartete mich schon H., der ebenfalls Weidmannsheil gehabt hatte. Er hatte seine „neue“ Büchse eingeweiht und eine Schmalgeiß erlegt. Den Schuss hatte ich gar nicht gehört.

 

Rund eine Stunde saßen wir dann bei einem kühlen Bier auf der Terrasse des Jagdhauses, zwei zufriedene Jäger. Beide hatten wir unsere alten neuen Waffen eingeweiht und mit bleifreier, wildbretschonender Kugel zwei Stücke erlegen können. An dem dabei angefallenen hochwertigen Lebensmittel Wildfleisch würden wir und andere noch viel Freude haben! Das ist für mich Jagd, wie sie sein soll! Schließlich hieß es für dieses Mal Abschied nehmen, lag doch noch eine fast zweistündige Heimfahrt vor mir. Auf dieser gab es allerdings ein kleines Nachspiel. Etwas müde, aber in bester Laune, fuhr ich gegen Mitternacht auf der Wiener Stadtautobahn A22. Das Radio hatte ich laut aufgedreht und hörte wunderbare Musik von Beethoven. Plötzlich nahm ich hinter mir ein Blaulicht wahr, fühlte mich aber in keiner Weise davon betroffen. Doch es sollte mir gelten, wie sich sogleich herausstellte, als mich das Polizeifahrzeug überholte und rechts ranwinkte. Ich sei in Schlangenlinie gefahren und, erstmals in meinem Leben, musste ich „blasen“. Der Test ergab 0,07 Promille und, nachdem ich für meine „beschwingte“ Fahrweise die himmlischen Klänge Meister Beethovens verantwortlich gemacht hatte, durfte ich meine Fahrt fortsetzen, um schon bald darauf zu Hause bei meiner lieben Frau anzukommen.

Helmut Eller