Jagderlebnis

 

 

Erntedank

Bewusst und gezielt suche ich diesen Revierteil nur sehr selten auf, um das Wild hier nicht ständig zu beunruhigen. Auf diese Weise hat sich der umgebende Bereich zu einer Ruhezone entwickelt, in der man häufiger als im übrigen Revier Anblick hat. Im Juli habe ich dort zwar schon einen braven Bock erlegt, doch in der Brunft weiß man ja nie …

 

 

 

Ursprünglich war Italien gar nicht eingeplant, aber ganz ohne Urlaub im Süden ging es dann für die Kinder doch nicht. So verlebten wir die besten Rehbrunfttage bei Spaghetti, Scampi, Gelato, Hugo in der zauberhaften Altstadt von Grado. Einzig das etwas in die Jahre gekommene Hotel, das so kurzfristig noch verfügbar war, und die für die Tage rund um Ferragosto typischen Massen an vornehmlich italienischen Urlaubsgästen schmälerten den Erholungswert unseres kurzen Familienurlaubes ein wenig. So sehr ich Grado für sein einzigartiges mittelalterlich und auch monarchistisch geprägtes Ambiente mag, das diese Insel von den anderen klassischen Urlaubsorten an der Oberen Adria unterscheidet, aber um diese Zeit ist auch die ansonsten vergleichsweise ruhige Insel für meinen Geschmack zu voll. Besonders zu empfehlen ist diese außergewöhnliche Region im Frühling oder Herbst. Bei ausgiebigen Radtouren kann man zu dieser Zeit das großartige Naturschutzgebiet rund um die Lagune bis zum Isonzo wunderbar erkunden und die kulinarischen Spezialitäten der Region in aller Ruhe genießen. Macht man dies mit offenen Augen, kommt dann auch einiges an Wild in Anblick. Man erkennt dann auch, dass es hier nicht nur Nieder- bzw. Flugwild, sondern auch alle gängigen Arten von Schalenwild gibt, die im Bereich der Gewässer, Auwälder, Weingärten und Felder ihre Einstände und Äsungsplätze finden. Lässt man den Tag, den Sonnenuntergang im Gesicht, im Ristorante La Dinette am Westzipfel der Insel bei Orata und Malvasia ausklingen, hat einen das Grado-Fieber zumeist endgültig ereilt. Mich hält es nun schon seit vielen Jahren gefangen.

 

Jagdlich glaube ich im heimatlichen Revier nichts zu versäumen. Der Bockabschuss ist bis auf ein Stück erfüllt und das Repertoire an bestätigten reifen Böcken scheint ausgeschöpft zu sein. Allein mein jagdlich ambitionierter Nachwuchs beklagt irgendwann unter der adriatischen Sonne, dass wir heuer noch gar nicht gemeinsam geblattet hätten. So lasse ich mir für den ersten Tag nach unserer Rückkehr das Versprechen abringen, einen lockeren Pirschgang mit dem einen oder anderen Blattversuch zu unternehmen. Obwohl im steirischen Ennstal der Höhepunkt der Blattzeit regelmäßig ein paar Tage später anzusetzen ist, erwarte ich mir von diesem Vorhaben am 13. August nicht mehr allzu viel Erfolg. Zudem glauben wir ja auch, alle Böcke im Revier zu kennen, und schätzen jeden uns bekannten als zu jung ein. So beruhen meine Hoffnungen lediglich auf einem möglicherweise suchenden Bock, der sich zu Ende der Brunft, sein angestammtes Revier verlassend, in Erwartung einer spätbrunftigen Geiß in unsere Ecke verirrt. Jenen einige Tage zuvor aufgenommenen Bildern eines Bockes, die mir Hans – mein treuer und fleißiger Revierjäger – während unseres Italienurlaubes mobil übermittelt hat, schenke ich vorerst noch keine bewusste Aufmerksamkeit. Glaube ich doch, wiederum einen der bekannten und meiner Meinung nach zu jungen Böcke darauf erkennen zu können.

 

Wiederum ist es Georg, mein Zweitältester, der mich zu jagdlichen Taten antreibt und am späten Nachmittag ins Revier begleitet. Obwohl erst neun Jahre alt, lebt er Jagd und Jagdhandwerk, als hätte man es ihm in die Wiege gelegt. Viel haben wir heuer bereits zusammen erlebt und auch erbeutet. Erfreulicherweise haben wir gemeinsam auch regelmäßig guten Anlauf, was die unbändige Passion meines Sprösslings zusätzlich anfeuert.

 

Im unteren Ennstal meldet sich der Herbst manchmal schon etwas früher als in außeralpinen Gegenden Österreichs an. Auch Regen war in diesem Sommer im Unterschied zu Resteuropa in diesem Teil der Obersteiermark bisher keine Mangelware. So empfinden wir, auch im Vergleich zum von Hitze und Trockenheit geplagten Oberitalien der letzten Tage, das Klima heute zu Hause deutlich frischer, und wir brechen bei angenehmen Temperaturen sowie mit der für dieses Revier bevorzugten „Gummistiefel-Bereifung“ zu unserem Pirschgang auf. Wanderten wir noch vor einem Tag schwitzend in der Badehose durch die Gassen unseres Urlaubsortes, tragen wir heute die langen Hosen, das langärmelige Hemd und eine leichte Weste recht gern.

 

Noch im Haus – währenddessen ich Büchse und Rucksack packe – testet Georg meinen alten Birkenblatter. Viel wurde und wird über die richtige Wahl des Blatters geschrieben und philosophiert und bis heute glaube ich, den perfekten Blatter noch nicht gefunden zu haben. Die Erfahrung hat mich jedoch gelehrt, dass die Böcke unterschiedlicher Reviere sehr wohl unterschiedlich auf die verschiedenen Blattwerkzeuge ansprechen. Ungarische Böcke springen eindeutig besser auf laute, aufdringliche Werkzeuge aller Art. Würde ich aber zum Beispiel den aufdringlichen Buttolo in meinem Ennstaler Revier einsetzen, wäre dieses unbestritten in kürzester Zeit „leer geblattet“. Zu Hause bevorzuge ich daher eher zarte und feine Töne, und so bin ich der Meinung, dass wir mit dem guten alten Birkenblatter nicht viel falsch machen werden. Zudem beherrscht ihn mein Jungjäger auch schon recht gut.

 

Das Auto stellen wir kurz vor dem Gordon – einer etwa dreißig Hektar großen, keilförmigen Ennswiese, die der Fluss vor dessen künstlicher Begradigung fast vollständig umschlossen hatte – ab. Um kein Wild abzutreten, will ich nicht zu weit fahren und lieber ein paar Schritte mehr in Kauf nehmen. Unsere erste Pirsch soll uns zur neuen Eichenkanzel führen, auf der ich in diesem Jahr noch gar nicht gesessen bin. Irgendwie muss ich gestehen, dass mich der Bock, den mir Hans dort fotografiert hat, doch ein wenig interessiert. Die Kanzel steht mitten im ursprünglichen Ennsbett, dessen naturbelassenen sauren Wiesen heute die Heimat einer Vielzahl von Blumen sind. Im Laufe des Jahres findet man hier neben Narzissen und Nelken eine Vielzahl an Orchideen, und so färbte das Knabenkraut diese noch bis vor wenigen Wochen in ein tiefes Violett. An der Kante zum alten Ennsbett, heute „Ennsrung“ genannt, angekommen, leuchten wir die Wiese vorsichtig ab. Gerne stehen in diesem ungestörten und ruhigen Revierteil die Rehe auch untertags. Doch heute ist kein Stück zu sehen. Vermutlich ist die Brunft wirklich schon vorüber und die Böcke ruhen, erschöpft von den Strapazen der letzten Brunftwochen, in ihrem Einstand. Die letzten Schritte bis zur Eichenkanzel schaffen wir lautlos, und nachdem wir sie damals in eine kleine Hecke gestellt haben, die die Wiese in zwei Hälften unterteilt, können wir entlang dieser auch gedeckt bis zur Leiter pirschen. Oben angekommen, entfernen wir Spinnweben und altes Laub, bevor wir meinen Wetterfleck auf das Sitzbrett breiten und uns niedersetzen. Man merkt, dass hier schon länger niemand gesessen hat. Auch die ersten Minuten auf der Kanzel vergehen ohne Anblick. Georg brennt schon darauf, seine Blattkünste zu testen, und so habe ich etwas Mühe, ihn zu mindestens zwanzig Minuten Wartezeit zu überreden. Die erste Strophe schicke ich etwas später selbst in den Ennsrung, wiederum zehn Minuten später ist er an der Reihe. Aber auch ein späteres drittes Gsatzl zaubert keinen roten Freier und schon gar nicht den vermeintlichen Herrn des Hauses aus den dichten, mit Weiden und Schilf bewachsenen Schacherln, die die Wiese vor uns umgeben.

 

 

 

Als wir schließlich, ohne ein Reh in Anblick gehabt zu haben, wieder Richtung Auto marschieren, verfestigt sich mein Eindruck, dass die Brunft längst vorbei ist. Doch noch einmal wollen wir es probieren. Im Wolfsbacher befinden sich zwei Kanzeln, die sich in den letzten Jahren zu meinen liebsten Ansitzplätzen entwickelt haben. Bewusst und gezielt suche ich diese Hochstände nur sehr selten auf, um das Wild hier nicht ständig zu beunruhigen. Auf diese Weise hat sich der umgebende Bereich zu einer Ruhezone entwickelt, in der man häufiger als im übrigen Revier Anblick hat. Im Juli habe ich dort zwar schon einen braven Bock erlegt, doch in der Brunft weiß man ja nie …

 

Obwohl das Wolfsbacher nicht weit entfernt ist, müssen wir, um dort hinzukommen, das Revier mit dem Auto komplett umschlagen und stellen es bei der Bahnunterführung an der Gemeindestraße ab. Erneut starten wir unsere Pirsch, mit Büchse, Rucksack und Pirschstecken bewaffnet. Auch den Wind prüfen wir ständig während unserer Pirsch –
ich voran und mein Jungjäger dicht hinter mir. Entlang der Forststraße nutzen wir den mittleren, grünen und mit Gras bewachsenen Streifen zum lautlosen Vorankommen. Am blanken Schotter der Fahrspuren wären wir zu laut. Danach geht’s entlang eines Windschutzstreifens rund um die Siedler Wiese in Richtung der gleichnamigen Kanzel. In diesem Bereich muss man besonders aufpassen, denn auch hier wechseln die Rehe zu jeder Tageszeit zwischen Wiese und Strauchstreifen. Manchmal verhoffen sie hier in der Deckung und lassen den Jäger bis auf wenige Meter herankommen, um dann laut schreckend abzuspringen. Wir halten daher möglichst oft inne und glasen speziell den Randbereich zum Windschutzstreifen genau ab. Keinesfalls wollen wir frühzeitig entdeckt werden.

 

Wenige Hundert Meter vor der Kanzel steht dann auch tatsächlich das erste Stück Wild am Wiesenrand. Wir bleiben umgehend stehen und suchen etwas Deckung bei der Strauchreihe zu unserer Rechten. Vorerst bewegen wir uns nicht, und erst als das Haupt des Rehes von einigen Ästen verdeckt ist, hebe ich das Glas. Problemlos kann ich das etwa fünfzig Meter vor uns äsende Stück als Geiß ansprechen. Doch sie ist nervös und meine Erfahrung sagt mir, dass sie nicht allein ist. Und tatsächlich! Bereits wenige Augenblicke später flüchtet sie durch den Windschutzstreifen Richtung Siedler Wiese – dicht gefolgt von einem jungen Rehbock, der sie ganz offensichtlich treibt. Im Glas spreche ich ihn als zwei- bis dreijährigen, im Wildbret starken, gut veranlagten Bock an. Also ist doch noch was los! Nachdem die zwei unserem Blickfeld entschwunden sind, bemühen wir uns, möglichst rasch Richtung Kanzel zu kommen.

 

Wieder richten wir uns auf der Sitzbank des Hochstandes ein und warten ein wenig, um es wiederum mit dem Birkenblatter zu versuchen. Bereits nach wenigen Minuten meldet sich mein Sohn zur Rechten ganz aufgeregt. Hat er doch hinter uns, auf der viel größeren Wiese Richtung Enns, zwei Rehe entdeckt. Wieder ergibt die Ansprache Geiß und Bock. Im Spektiv kann ich eine starke Altgeiß und einen im Verhältnis zu seinem Alter im Wildbret starken Jahrling ansprechen. Der lauscherhohe Sechser gehört zu jener Kategorie an Jünglingen, wie man sie gerne sieht und wie wir sie in diesem Revier immer wieder einmal in Anblick bekommen. Auch Georg möchte ihn im Spektiv ansprechen und ich merke, dass er Freude daran hat, die zwei liebestrunkenen Rehe bei ihrem Spiel zu beobachten. Ich richte währenddessen meine Aufmerksamkeit wieder auf die kleine Siedler Wiese vor uns. Dahinter befindet sich ein großer, deckungsreicher Einstand und ich rechne mit möglicherweise zustehenden Stücken eher aus dieser Richtung. Später erlaube ich Georg wiederum, seine Blattkünste unter Beweis zu stellen, und bereits wenige Augenblicke später meldet er sich erneut ganz aufgeregt. Er meint, dass nun ein drittes ganz starkes Reh die zwei anderen Rehe hinter uns treibt. Ganz offensichtlich hat sein Blatten einen weiteren viel stärkeren und augenscheinlich auch älteren Bock auf die Bühne gerufen. Ich spreche den Bock als überaus kapital an. Einen ähnlich starken hatte ich bis jetzt in meinem Revier noch nie in Anblick.

 

Und wirklich, ein unheimlich starker und sichtlich auch reifer Bock will dem Jahrling die Geiß abspenstig machen. Doch dieser lässt sich das nicht gefallen und stellt sich dem deutlich älteren und stärkeren Bock, der problemlos sein Vater oder Großvater sein könnte. Immer wieder unterbricht einer der beiden das Gerangel und das Imponieren, um die Geiß wieder heftig im Kreis zu treiben. Mehrmals wechseln sie sich dabei ab. Selten konnte ich in meinem Jägerleben eine ähnliche Situation beobachten. Georg bebt förmlich vor lauter Jagdfieber und ist sich sicher, dass wir den Alten erlegen müssen. Doch dieses Unterfangen gestaltet sich komplizierter als gewünscht. Nachdem ich mir eine sichere Auflage gerichtet habe, entwickelt sich zwischen den drei Rehen eine wilde Jagd. Entweder zieht einer der Böcke hinter der Geiß oder einer hinter dem anderen Bock immer weitere und schnellere Kreise in alle Teile der Wiese. Teilweise verschwinden sie auch in einem der angrenzenden Einstände oder Strauchstreifen. Dabei ist es unheimlich schwierig, den Überblick zu bewahren, und zu diesem Zeitpunkt bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir auf den Kapitalen noch zu Schuss kommen. Zugegebenermaßen kann ich auch meine Passion, während es meinen Sohn schon nicht mehr auf der Bank hält, kaum noch unterdrücken!

 

Gerade in solchen Situationen ereilt einen aber dann sehr oft eine kreative Eingebung und so bitte ich meinen Sohn, während ich mich voll und ganz auf den treibenden Bock konzentriere, dass er noch einmal ein paar Mal laut und eindringlich blattet. Und tatsächlich, nachdem er das erste Gsatzl ignoriert hatte, verhoffte der Alte schließlich beim zweiten Mal auf hundertachtzig Meter breit stehend zu uns zurück. Im Wissen, dass ich nicht viel Zeit haben würde, ließ ich in jenem Moment fliegen, in dem ich das Blatt im Absehen hatte. Noch im Zielfernrohr sah ich Schweiß am Wildkörper. Doch statt in der Wundfährte zu verenden, wollte der Bock neuerlich der nun wegflüchtenden Geiß folgen. Nach etwa zwanzig Metern schwanden jedoch all seine Kräfte und er sank in das Grün der Wiese. Vom soeben Erlebten vollkommen gefangen, blickte ich in die noch immer gebannten Augen meines Kindes. So etwas erlebt man nicht alle Tage! Niemals hätte ich mir erträumt, dass ich heute vor dem stärksten Bock stehen würde, den ich bis zu diesem Tag in meinem Revier erlegt habe. Es ist gerade einmal früher Abend, als wir beim alten Bock ein paar Erinnerungsfotos machen. Wenig überraschend treibt zwischenzeitlich der starke Jahrling die Geiß von vorhin auf der anderen Seite der Wiese. Heute hat er im steten Kreis von Entstehen und Vergehen gewonnen und wird trotz des jungen Alters seine Gene weitertragen können.

 

Georg lässt es sich nicht nehmen, unseren Bock zusammen mit mir die ganze lange Strecke zum Auto zu tragen und schließlich bei der Wildbretkammer unter meiner Aufsicht aufzubrechen. Beide wissen wir, dass wir den heutigen Jagdtag niemals vergessen werden, und noch eine Überraschung hält dieser parat. Zu Hause wollen wir auf der Terrasse, der Papa mit einem kleinen Bier und der Sohn mit einer Dose Fanta, auch den Rest der Familie an unserer Freude teilhaben lassen. Georg bettet deshalb das Haupt auf mitgenommene Fichtenäste auf den Stehtisch unserer Terrasse, macht Feuer in der Feuerschale und wird nicht müde, seinen Geschwistern, der Oma und schließlich auch unserem Revierjäger Hans das Erlebte immer und immer wieder zu erzählen. Hans ist es dann, der uns beweist, dass der Bock überraschenderweise jener ist, den er vor ein paar Tagen, ein Stück weit vom Eichensitz entfernt, fotografiert hat. Manchmal muss halt wirklich alles zusammenpassen, um ein solches Weidmannsheil zu haben. Vielleicht habe ich an diesem Spätbrunfttag Mitte August aber ganz einfach auch vom berühmt-berüchtigten Jungjägerdusel meines Georg profitiert.

 

Lautes Schrecken mehrerer Rehe ließ mich augenblicklich von der Vergangenheit in die Gegenwart wechseln! Das Schrecken kam von vorne, keine 300 Meter entfernt, so schätzte ich. „Das hört sich gut an!“, sagte ich zu mir selbst. Bald darauf kündigte lautes Brechen und Grunzen den Besuch der Sauen an. So wie sich die Rasselbande anhörte, rechnete ich mit einer Rotte „Halbstarker“. Die Rehe waren wieder verstummt, das Knacken und Brechen kam näher und näher und schließlich schoben sich nach und nach fünf Überläufer aus dem Wald. Nachdem ich sie alle als etwa gleich stark angesprochen hatte, wollte ich natürlich eine der Sauen erlegen und nahm meine Mauser zur Hand. Die Sauen hatten sich mittlerweile am unter den Holzprügeln versteckten Mais zu schaffen gemacht, wechselten ständig die Position und standen einmal zu dicht beisammen, einmal im Schlagschatten eines Baumes. Schließlich stand eine ideal breit, der rote Leuchtpunkt kam hinter dem Vorderhammer zu stehen und der Schuss brach. Augenblicklich war die Bühne leer. Artemis war natürlich hellwach, sah mich fragend an und blieb im Übrigen völlig ruhig. Sie wusste aus langer Erfahrung, dass „Herrli“ eine Weile zu warten pflegt, ehe es zum Anschuss geht. Also ließ ich einige Minuten später meine Hündin zurück, um den Anschuss zu inspizieren. Die Stelle war leicht zu finden, jedoch konnte ich im Licht der Taschenlampe keinen Schweiß sehen. Ich war mir sicher, gut getroffen zu haben, und weit konnte der Schwarzkittel nicht gekommen sein. Also zurück und Artemis an den Schweißriemen genommen. Wofür hat man einen vierbeinigen Begleiter? Was nun folgte, war „Kurzarbeit“ für den erfahrenen Hund. Die Sau lag mit sauberem Kammerschuss nur zehn Meter vom Anschuss entfernt. Eine hohe Grasnabe am Wegrand hatte mir die Sicht zum verendeten Stück verwehrt. Sehr freute ich mich über das erste Stück mit dem neuen .270er-Lauf! Rasch hatte ich das etwa 30 kg schwere „Küchenschwein“ aufgebrochen, aufgeladen und fuhr gegen 22 Uhr zurück zum Jagdhaus. Dort erwartete mich schon H., der ebenfalls Weidmannsheil gehabt hatte. Er hatte seine „neue“ Büchse eingeweiht und eine Schmalgeiß erlegt. Den Schuss hatte ich gar nicht gehört.

 

Rund eine Stunde saßen wir dann bei einem kühlen Bier auf der Terrasse des Jagdhauses, zwei zufriedene Jäger. Beide hatten wir unsere alten neuen Waffen eingeweiht und mit bleifreier, wildbretschonender Kugel zwei Stücke erlegen können. An dem dabei angefallenen hochwertigen Lebensmittel Wildfleisch würden wir und andere noch viel Freude haben! Das ist für mich Jagd, wie sie sein soll! Schließlich hieß es für dieses Mal Abschied nehmen, lag doch noch eine fast zweistündige Heimfahrt vor mir. Auf dieser gab es allerdings ein kleines Nachspiel. Etwas müde, aber in bester Laune, fuhr ich gegen Mitternacht auf der Wiener Stadtautobahn A22. Das Radio hatte ich laut aufgedreht und hörte wunderbare Musik von Beethoven. Plötzlich nahm ich hinter mir ein Blaulicht wahr, fühlte mich aber in keiner Weise davon betroffen. Doch es sollte mir gelten, wie sich sogleich herausstellte, als mich das Polizeifahrzeug überholte und rechts ranwinkte. Ich sei in Schlangenlinie gefahren und, erstmals in meinem Leben, musste ich „blasen“. Der Test ergab 0,07 Promille und, nachdem ich für meine „beschwingte“ Fahrweise die himmlischen Klänge Meister Beethovens verantwortlich gemacht hatte, durfte ich meine Fahrt fortsetzen, um schon bald darauf zu Hause bei meiner lieben Frau anzukommen.

Thomas Hinterecker