Mythen und Naturgeschichten

 

 

Feldhuhn in Wohnungsnot

Als einstiger Charaktervogel offener Feldfluren steht das Rebhuhn beispielhaft für den enormen Verlust an Biodiversität, der vor allem durch die Intensivierung der großflächigen indus­triellen Landwirtschaft der letzten Jahrzehnte zu beklagen ist. 

 

 

 

Als ursprünglicher Steppenbewohner fand das Rebhuhn als Kulturfolger des Menschen in Heiden, vor allem aber auf Acker-, Grün- und Brachland vergangener Tage einen idealen Lebensraum. Mit dem Einsetzen der modernen industriellen Landwirtschaft und der damit einhergehenden Umwandlung der einst reich strukturierten, kleinräumigen Agrarlandschaft in großflächige Monokulturen, die nur unter großem Einsatz von Herbiziden und Insektengiften bewirtschaftbar sind, sank der europäische Rebhuhnbestand in den Jahrzehnten von 1980 bis 2016 um 94 Prozent. Als Standvogel besiedelt das Rebhuhn an sich weite Teile Europas und Asiens. Sein Verbreitungsgebiet reicht von den Britischen Inseln bis nach Westsibirien, Pakistan und in den nördlichen Iran, und in den Prärien Nordamerikas wurde es zu Jagdzwecken eingebürgert. Ideale Lebensräume finden Rebhühner bei uns auf abwechslungsreichen landwirtschaftlichen Flächen, die durch Hecken, Büsche, Feld- und Wegraine reichhaltig strukturiert sind. Hier ernähren sich die Vögel von Sämereien, Wildkräutern und Getreidekörnern und vor allem die Küken finden die für sie überlebenswichtige, proteinreiche Insektennahrung. Während der Brutzeit bilden die Hühnervögel feste Paare und besetzen ein Revier, das von den Hähnen mit dem typischen „Kirrek“-Ruf markiert wird. Nach erfolgreicher Jungen­aufzucht sind im Spätsommer Familienverbände von bis zu 15 Vögeln, sogenannte Ketten, zu beobachten. Im Winter schließlich können sich auch größere Gruppen von bis zu 25 Tieren zusammenschließen, die dann als Volk bezeichnet werden. Neben dem rostroten Kopf und Hals sind Rebhühner am Rücken und an den Flügeldecken vorwiegend braun-grau gefärbt. Typisch vor allem für die Hähne ist der dunkelbraune hufeisenförmige Brustfleck, der bei den Hennen meist deutlich weniger ausgeprägt ist oder ganz fehlt. Der Name Rebhuhn leitet sich vom althochdeutschen „rebhuon“ und mittelhochdeutschen „rephuon“ ab und geht in seiner Bedeutung eventuell auf ein germanisches Wort für „bunt“, „gesprenkelt“ zurück. Nach einer anderen Lesart bezieht sich der Name als lautmalerisches „Repp“ auf die Rufe des Vogels. Ähnliches gilt für den wissenschaftlichen Vogelnamen Perdix perdix, das altgriechische Wort für dieses Feldhuhn, das sich ebenfalls auf dessen charakteristische Laute bezieht. In den „Metamorphosen“ des Ovid war Perdix ein Neffe des berühmten Baumeisters Daidalos, der bei seinem Onkel in die Lehre ging. Da der Knabe so begabt war, stürzte ihn der neidvolle Onkel schließlich in den Abgrund. Er wurde jedoch von der Göttin Athene aufgefangen und in ein Rebhuhn verwandelt. Die durchdringenden Rufe des Rebhuhns stellten daraufhin den ständigen Vorwurf dem neidischen Daidalos gegenüber dar. Heute könnten die vielerorts leider verklungenen Rufe des Rebhuhns als Vorwurf an die industrielle Landwirtschaft hinsichtlich der existenzbedrohenden Vernichtung der Biodiversität verstanden werden.

Markus Zeiler