Im Revier

 

 

Alles neu macht der Mai

Den Zugvögeln gleich beziehen die Jäger nun wieder Hütten und Reviere, richten sich für die beginnende Saison ein. Zu jagen gibt es noch wenig, aber unendlich viel zu hören und zu schauen. Vogelstimmen überschlagen sich, besorgte Tiermütter kümmern sich um die nächste Generation.

 

 

 

Groß geworden bin ich in Wien. Mai in Wien bedeutete Kastanienblüte. Ich liebte die optimistische Pracht dieser hoch aufgerichteten Blüten, und ich tue es heute noch. Wie schön, dass in unserem Revier auf dem Weg zur Hütte, gleich rechts am Rand einer kleinen Wiese, auch ein Kastanienbaum blüht. Schöne Erinnerungen. Schön auch für das Wild – dass Rosskastanien für uns ungenießbar, für so manches Wildtier aber sehr nahrhaft sind, wusste ich schon als Kind. Immerhin bekamen wir ein paar Groschen für einen Sack der Früchte, die wir im Prater sammelten. Bei Dr. Google heißt es: Die Früchte der Gewöhnlichen Rosskastanie sollen Blutgefäße, insbesondere Venen, stärken und werden gegen Thrombose, Venenentzündung und Krampfadern eingesetzt … dann haben unsere Geißen und Bachen wohl keine Krampfadern? Die Glücklichen!

Die Wiese unter der Kastanie steht jetzt schon in sattem Grün da. Ein bisschen weiter oben zieht eine zarte Schmalgeiß direkt vor meinen Sitz. Zu verlockend sind jetzt die üppigen Spitzen und saftigen Blättchen. Wenn du bis zu dem Baum dort ziehst, hab ich dich. Tu’s bitte nicht! Der übliche Zwiespalt zwischen der jagdlichen Forderung, bei den Jahrlingsstücken zuzugreifen, und der Freude, junges Leben zu beobachten. Die Schmale entzieht sich. Aber ich weiß, dass sie zurückkommt, und dann geht kein Zuschauen mehr. Dankbar hole ich sie aus dem lichten Stangenholz.

 

Im Kreißsaal der Natur

Bei den erwachsenen Geißen geht ja wirklich nur mehr zuschauen. Je nach Höhenlage steht der Setztermin kurz bevor oder es liegt sogar schon irgendwo ein Kitz. In tieferen Lagen verläuft das Setzen zeitlich gestreuter, in der Höhe ist aufgrund der kürzeren Vegetationszeiten alles ein bisschen gedrängter. Mit der Veränderung des Klimas wird sich auch dieses Geschehen bei allen Wildarten anpassen. Wie ja auch der Geburtsvorgang selbst ein ausgereifter Prozess ist. Die Lebendgeburt – Fachausdruck Viviparie – musste sich im Laufe der Evolution ja auch erst entwickeln. Davor gab es nur Eiablage. Jungtiere mussten also bei allen damaligen Tierarten außerhalb des Körpers reifen, für das Muttertier unter Umständen bequemer.

Der Geburtsvorgang wird von Botenstoffen des Ungeborenen ausgelöst. Es hat Stress, wenn die angebotenen Nährstoffe den Bedarf seiner Körpermasse nicht mehr decken, und schüttet daher Kortison aus. So nach dem Motto: „Mama, Hunger, hol mich da raus…!“ Der mütterliche Organismus ist ebenfalls durch Hormone darauf vorbereitet. Das Bindegewebe im Beckenbereich erschlafft, auch die starren Verbindungen der Beckenknochen werden weicher, der gesamte Bereich dehnbarer. Die Zervix, eine Art Schiebetür zwischen Gebärmutter und Scheide, wird durch das Anschieben der Fruchtblase aufgedehnt, durch den mechanischen Reiz kommt es zur weiteren Hormonausschüttung und Wehentätigkeit bis zur Austreibung. Die Stellung, in der ein Jungtier den Geburtskanal verlässt, hängt von seinem Körperbau ab. Kitze und Kälber mit ihren verhältnismäßig langen Läufen sollten plangemäß mit den Vorderläufen und dem daraufliegenden Häuptl voraus „schlüpfen“. Die Welpen von Fuchs, Wolf und Hund, bei denen der Schädel derjenige Körperteil ist, der sich am wenigsten knautschen lässt, legen ihre Branterln eng an den Körper und flutschen so heraus wie eine Robbe ins Wasser. Wenns mit dem Hinterteil vorausgeht, ist es auch kein Problem. Hauptsache, der Kopf ist nicht größer als der Geburtskanal. In der Gebärmutter geht sich ja noch alles aus. Wer sich jemals eine nach einer Trächtigkeit zurückgebildete Gebärmutter angeschaut hat, kann von der Dehnbarkeit und Flexibilität nur beeindruckt sein. Mütter wissen ohnedies, wovon hier die Rede ist.

 

 

 

Übrigens, nur so zur Erinnerung, der Ausdruck „unipar“ wird für Säugetiere verwendet, die im Regelfall in einer Trächtigkeit nur einen Nachkommen zur Welt bringen, Pferde zum Beispiel. Rehe sind, auch wenn häufig nur ein Haserl hinterherstakst, genau genommen multipar, weil die Natur bei ihnen ja durchaus zwei bis vier Kitze vorgesehen hat. Und die müssen ja dann auch ernährt werden. Dass die Anzahl der Zitzen und die durchschnittliche Anzahl der Nachkommen unmittelbar zusammenhängen, wussten schon die alten Griechen. Die Natur ist da großzügig – Zitzenzahl ist sicherheitshalber gleich maximale Kinderzahl. Bei Reh, Gams und Steinwild passt das genau. Beim Rotwild hat die Natur scheinbar übertrieben, irgendwo in der Geschichte der Evolution wird dafür die Erklärung liegen. Beim Haustier hat der Mensch dreingepfuscht. Ob Hausschwein oder Hund, da muss sich schon ab und zu einer anstellen, weil die Bar gegenüber der Nachwuchszahl unterdimensioniert und daher besetzt ist.

Milchdrüsen sind entwicklungsgeschichtlich Hautdrüsen. Im Inneren bestehen sie aus einer Vielzahl kleiner Bläschen, aus denen das Drüsensekret, die Milch, über Gänge in eine Sammelzisterne und über den Zitzenkanal an das saugende Mäulchen gelangt. Milch bildende Bläschen und Milchgänge ziehen sich, durch ein Hormon angeregt, zusammen, um die Milch fließen zu lassen. Es handelt sich um dasselbe Hormon, das für die Wehentätigkeit während der Geburt zuständig ist.

Die Milchdrüse wird nur bei Bedarf groß und aktiv. Die Bestandteile der Milch – Fett, Eiweiß, Zucker, Vitamine und Spurenelemente – werden über das Blut angeliefert. Dazu müssen für die Produktion von einem Liter Milch mehrere Hundert Liter Blut die Milchdrüse durchströmen. Die Rehgeiß gibt immerhin etwa 0,5 bis 0,75 Liter Milch pro Tag an ihr Kitz ab. Die Zusammensetzung richtet sich nach dem Lebensraum und nach der Wachstumsgeschwindigkeit. Kälte fordert mehr Fett. Wale, Robben und (Eis-)Bären sind Spitzenreiter, aber auch der ungeschützt in der Ackerfurche abgelegte Feldhase genießt einen Cocktail mit 23 Prozent Fett: Erstens hat er es nicht gerade kuschelig und zweitens muss die Sättigung lang anhalten.

Fürs Wachstum braucht es Eiweiß. Ein Fuchswelpe, der wie der Hund in wenigen Tagen sein Gewicht verdoppelt, nimmt etwa acht Prozent Eiweiß in der Milch zu sich, bei menschlichen Babys reicht ein Prozent. Zu den Eiweißstoffen zählen auch die Immunglobuline, die über die erste Milch an das Neugeborene geliefert werden und für dessen Abwehrsystem unerlässlich sind.

 

 

 

Haare lassen

Ob Wildtiere auch so etwas wie Wettervorhersagen mit entsprechenden Folgerungen kennen? So etwas wie „Mairegen, mild und warm, tut den Früchten keinen Harm“? Selbstverständlich. Zumindest auf kürzere Zeitspannen hin wissen sie genau, was kommt und wie sie am besten damit umgehen. Besonders im Gebirge haben sich die Menschen früher am Verhalten des Wildes orientiert, um Unwettern aus dem Weg zu gehen. Und der Mai kann ja auch noch einmal richtig unberechenbar sein! Zieht man als „gstandener“ Traditionsjäger schon die kurze Lederne an oder doch noch die Lodene? Das Wild ist auch noch nicht ganz entschieden. Und nicht immer stimmen die Regeln, wer zuerst umhaart. Zu viele Faktoren beeinflussen das Geschehen: Tageslichtlänge, Temperatur und UV-Strahlung starten ein genetisch festgelegtes Programm, das im Frühjahr für die Abstoßung des Winterhaars und das Wachstum des Sommerhaars sorgt. Ernährungs- und Gesundheitszustand, Lebensraumqualität, Ruhe oder Stress, Alter, Trächtigkeit und vieles mehr liefern zusätzliche Einflüsse. Ob uns also im Mai ein rotes oder ein graues Reh aus dem Farnkraut anlacht, muss nicht immer gleich der Schlüssel zu richtigem Ansprechen sein.

Der Mai ist aber unbestritten der Monat, in dem es allenthalben Jungvolk gibt. Vom Sitz aus kann ich beobachten, welch unermüdliche Arbeit dahintersteckt, junge Buntspechte großzuziehen. Durchschnittlich alle zehn Minuten wird Futter angeflogen. Kein Wunder, dass ein heilloses Gekecker anhebt, wenn einer stört. Der junge Marder, der einfach nur den Weg kreuzen wollte, dreht eilends ab und sucht das Weite.

An unseren Gebirgsbächen sitzen jetzt junge Wasseramseln auf Steinen und Schwemmholz und rufen lauthals nach Futter. Mutter Wasseramsel kanns noch lauter, immerhin muss die Verständigung das Rauschen des Wassers einigermaßen übertönen. Was für ein ganz besonderer Vogel! Sein Federkleid ist so dicht, dass es beim Tauchen in den kalten Gebirgsbächen einen perfekten Neoprenanzug ergibt.

 

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