Schäden durch führungslose Frischlinge?

Die Behauptung, Wildschäden in der Landwirtschaft entstünden überwiegend durch Frischlinge, denen die Mutterbache weggeschossen wurde, hält sich hartnäckig. In der Verschuldensfrage landen wir dabei automatisch beim Jagdnachbarn, denn wir selbst machen so etwas nicht ...

Bis heute wettern viele Jäger generell gegen den Abschuss von Bachen. Ein absolutes Tabu ist jedoch der Abschuss der „Leitbache“. Irgendwie ist das komisch, denn bei Rehgeiß und Alttier scheint es solche Befindlichkeiten nicht zu geben, zumindest nicht (mehr!) offiziell. Auf alle Fälle findet man sein Auto heute nicht mehr mit zerstochenen Reifen auf dem Parkplatz, wenn man vorher bei einem Vortrag für die Bejagung des weiblichen Reh- oder Rotwildes votiert hat.

Sachlich begründen lässt sich diese unterschiedliche Betrachtung von Schwarzwild und anderem Schalenwild nicht. Ganz im Gegenteil. Das Alttier setzt pro Jahr ein einziges Kalb. Die Rehgeiß bringt zwei Kitze zur Welt, gelegentlich auch drei. Schwarzwild hingegen gehört zu den r-Strategen, die ihre jährlichen Nachwuchsraten mehr als alle anderen Schalenwildarten dem Nahrungsangebot und der Witterung während der Setzzeit anpassten. Da sind bei einer Altbache auch einmal sechs Frischlinge möglich. Das bedeutet einerseits, dass der Verlust einer Bache die Bestandsdynamik kaum wirklich angreift. Andererseits handelt es sich beim Schwarzwild um eine Art, deren Junge sehr frühreif sind – wieder abhängig vom Nahrungsangebot. So bringt heute ein erheblicher Teil der weiblichen Frischlinge schon im ersten Lebensjahr selbst Frischlinge oder wird zumindest fruchtbar beschlagen.

 

Die Unterschiede

Bei einer Art, bei der die Muttertiere unter Umständen sehr viele Junge mit Milch versorgen müssen, dürfen wir grundsätzlich von einer eher kurzen Säugezeit ausgehen, ebenso von einem raschen Selbstständigwerden der Jungen. Das sehen wir schon beim Vergleich von Alttier und Rehgeiß. Alttiere bringen nur ein Kalb zur Welt, dafür säugen sie besonders lange und die Kälber sind eher „Spätzünder“. Verliert das Kalb die Mutter, leidet es, wird vom Rudel ausgestoßen und übersteht den Winter mehrheitlich wohl nicht.

Bei der Rehgeiß sind zwei Kitze die Regel, manchmal auch drei. Da würde eine lange Säugezeit recht „teuer“. Schon mit dem neuerlichen Eisprung in der Blattzeit geht die Milchproduktion ganz stark zurück. Zumindest frühgeborene Kitze haben jetzt bei Mutterverlust eine Überlebenschance. Klar – sie werden leiden und sie werden kümmern und viele von ihnen werden im Laufe des Sommers oder Herbstes sterben. Das tun allerdings auch viele Kitze, die ihre Mütter nicht verloren haben. Das Kitz, das im Herbst die Mutter verliert, kommt in der Regel durch und muss nicht einmal zwingend kümmern. Das zu sagen ist nicht ungefährlich, denn sofort wird behauptet, man würde dazu aufrufen, ohne anzusprechen und ohne Rücksicht auf das Mutter-Kind-Verhältnis zu schießen. Nein – das wird hier nicht getan!

Wer aber nicht so lange ausreichend mit Milch beliefert wird, der muss verdammt schnell mit anderer Nahrung zurechtkommen. Das heißt, er ist vergleichsweise frühreif. Das verwaiste Kitz wird auch vom Rudel nicht ausgeschlossen, schließlich sind Rehe keine Rudeltiere. Sie werden aber von anderen Rehen als „Mitläufer“ akzeptiert. Bei unseren „Hausrehen“ kam es sogar vor, dass sich einzelne Kitze bereits im Oktober für etliche Tage einem Bock anschlossen und mit diesem die Umgebung erkundeten. Danach standen sie wieder bei ihren Müttern.

Doch zurück zum Schwarzwild. Frischlinge sind halbwegs selbstständig, wenn sie ihre Streifen verlieren. Das passiert so im Alter von drei Monaten. Beide Geschlechter verbleiben dann weiterhin in der Rotte. Was passiert, wenn die Bache ums Leben kommt das muss ja nicht einmal durch die Jagd geschehen? Auch dann werden die Frischlinge in ihrem gewohnten sozialen Umfeld – in der Rotte – bleiben. Vielfach wird der Jäger gar nicht merken, dass einige in einer Rotte mitlaufende Frischlinge mutterlos sind.

 

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