100 Jahre Steinwildhege im Salzburger Blühnbachtal

Bereits 1924 kaufte Gustav Krupp von Bohlen und Halbach Steinwild an, um es im Blühnbachtal auszuwildern. Auf diese Weise entstand eine der ersten Kolonien nach der Beinahe-Ausrottung des Alpensteinbockes im 19. Jahrhundert. Mit Idealismus und Sachverstand führen auch die heute handelnden Jäger sein Werk zum Gedeihen des Steinwildes fort.

 

Anlässlich des 100-jährigen Bestehens von Steinwild im Blühnbachtal lud die Steinwildhegegemeinschaft Blühnbach-Hagengebirge-Steinernes Meer am 24. Mai zu einer Jubiläumsveranstaltung ins Jagdzentrum Stegenwald ein. Das Programm setzte sich aus Fachvorträgen von Franz Hoffmann, Rudolf Reiner und Gunther Greßmann sowie einer Exkursion in das Blühnbachtal mit exklusivem Einblick in das Schloss Blühnbach zusammen. Über 100 Teilnehmer folgten der Einladung und waren vom Rahmenprogramm begeistert.

 

Ein Tal für Wildtiere

Das Blühnbachtal ist ein ostwestlich gerichtetes Seitental des Salzachtales, das man über Tenneck, den nördlichen Ortsteil von Werfen im Bezirk St. Johann im Pongau, erreicht. Nach etwa zwölf Kilometern gelangt man zum Talschluss, der sogenannten Seichen. Der höchtgelegene Punkt des Talschlusses ist das Brandhorn mit einer Höhe von 2.610 Metern. Das Tal wird vom Hagengebirge im Norden, vom Steinernen Meer im Westen und vom Höchkönigmassiv im Süden umschlossen. Diese Gebiete und auch der Hohe Göll, über dessen Gipfel die österreichisch-deutsche Grenze führt, sind ein wesentlicher Bestandteil des Natur- und Europaschutzgebietes Kalkhochalpen. Die Bereiche, die sich auf bayerischem Staatsgebiet befinden, gehören zum Nationalpark Berchtesgaden.

Ramsau- und Wettersteindolomit prägen die mittleren Lagen, Dachsteinkalk die Hochlagen und -plateaus. Die Hochflächen sind vielfach verkarstet und mit Latschen bestockt. Durch die Wasserdurchlässigkeit des Gesteins sind bei den Gebirgsstöcken relativ wenige Gebirgsbäche zu sehen. In den tiefen und mittleren Lagen dominieren Fichten-, Tannen- und Buchenwälder. Auf einer Höhe von 1.200 bis 1.700 Metern gedeihen Fichten, Lärchen und Zirben. Schutt, Geröll und Felsen durchziehen die vorhandenen Grasnarben in den Südhängen und in den Hochlagen. Die vor 100 Jahren aufgelassenen Almflächen im Süden des Hagengebirges bieten heute beste Äsungsmöglichkeiten für Gams und Steinwild.

 

Das Schloss im Blühnbachtal

Auf halber Tallänge steht das mächtige Schloss Blühnbach inmitten großer Wiesen und Waldflächen mit Blick auf die herumliegenden Bergketten. Vor dem Jahr 1604 stand ein Jagdhaus aus Holz, das von den Erzbischöfen als Jagdunterkunft genutzt wurde. Zum Anwesen zählten auch eine Kapelle sowie landwirtschaftliche Gebäude für Pferde und Rinder. Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau ließ das baufällige Gebäude zu einem mehrstöckigen schloss-artigen Gebäude mit einer Länge von 63 Metern, 19 Meter breit, und einer Gesamthöhe von 28 Metern errichten. Zwischen 1843 und 1908 nutzte das Schloss eine Jagdgesellschaft, bestehend aus österreichischen Vertretern des Hochadels. Erst mit dem Erwerb Blühnbachs durch den Privat- und Familienfonds des Kaiserhauses ließ Erherzog Franz Ferdinand das Schloss samt Kapelle 1908/09 auf das heutige Ausmaß erweitern.

Die Verwaltung des Schlosses Blühnbach ermöglichte den Teilnehmern der Steinwildtagung die einmalige Chance, Einsicht in das Erdgeschoß des Schlosses zu nehmen. Imposante Räumlichkeiten, ausgestattet mit schönen Möblierungen und mit unzähligen und außergewöhnlichen Trophäen von Gams-, Rot-, Stein- und Rehwild. Möbel, Öfen und Teppiche sind in außerordentlich gutem Zustand. Fast unbeschreiblich, wie diese hohen und herrschaftlichen Räume auf einen wirken – diese Eindrücke sind etwas ganz Besonderes.

 

Eigentumsverhältnisse

Im Jahr 711 überließ Herzog Theudebert der Kirche von Bischofshofen, später das Erzbistum Salzburg, Jagd- und Weideland – Blühnbach war hier inbegriffen. Bis 1803 herrschten die Erzbischöfe über das Blühnbachtal. Zwischen 1803 und 1809 fiel das Gebiet unter die französische Herrschaft, von 1810 bis 1816 regierten der Großherzog von Toskana und der bayerische König. Als es zum Abschluss des Wiener Kongresses kam, ging Blühnbach in österreichischen Besitz über und wurde dem k. k. Ackerbauministerium unterstellt. Der Thronfolger von Kaiser Franz Joseph war der Neffe, Erzherzog Franz Ferdinand. Dieser erwarb Blühnbach im Jahr 1908 aus jagdlichem Interesse. Mit der Liegenschaft Weinzierl-Wolfpassing in Niederösterreich wurde ein Tauschgeschäft vollzogen. Nach der Ermordung von Franz Ferdinand 1914 in Sarajevo kaufte 1916 Arthur Krupp, ein Industrieller aus Berndorf in Niederösterreich, treuhändisch die Liegenschaft. Ein Jahr später erwarben die Stahlindustriellen aus Essen in Deutschland, Bertha und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, den Besitz. Zum 15.000 ha großen Gebiet zählten große Teile des Hochkönigs, Hagengebirges, Göllmassives und Blühnbachtals inklusive Schloss sowie eines Säge- und Kraftwerks. Nach dem Tod von Gustav und Bertha Krupp im Jahr 1957 ging das Erbe an den Sohn Alfred Krupp von Bohlen und Halbach über. Zehn Jahre später erhielt das Eigentum dessen Sohn Arndt von Bohlen und Halbach, der bis zu seinem Tod im Jahr 1986 im Schloss lebte. Arndt von Bohlen und Halbach veräußerte den Besitz Blühnbach samt Kraft- und Sägewerk bis auf das Schloss und die umliegenden Wald- und Wiesenflächen von rund 31 ha an die Österreichischen Bundesforste. Der Sägewerkbetrieb mit einem Einschnitt von 12.000 bis 15.000 Festmetern wurde 1994 eingestellt. 1997 folgte der Verkauf des Kraftwerkes. Nach dem Tod von Arndt änderten sich die Eigentumsverhältnisse wieder. Frederick R. Koch, amerikanischer Kunstsammler und -mäzen, kaufte das Schloss und die arrondierten Flächen im Jahr 1988. Er investierte ein Vermögen in die Restaurierung der Gebäude und des Inventars. Vor vier Jahren verstarb Koch und die Immobilie befindet sich seit diesem Zeitpunkt in Besitz der Frederick R. Koch Foundation of Austria, einer gemeinnützigen Privatstiftung.

Das Blühnbachtal steht aktuell im Besitz der Österreichischen Bundesforste. Mit einer Gesamtfläche von 10.100 ha teilt sich dieses in drei Jagdreviere auf, die allesamt verpachtet sind.

 

Der Beginn einer neuen Ära

Um 1700 war das Steinwild im West- und Ostalpenraum ausgerottet. Die letzte große Population im Ostalpenraum befand sich mit etwa 100 Tieren im Zillertal. Damals gehörte dieses Gebiet zum Erzbistum Salzburg. Eine versuchte Umsiedelung ins Tennengebirge führte aus verschiedensten Gründen zu einem völligen Abhandenkommen dieser Wildart. Das letzte Vorkommen des Steinwildes im 19. Jahrhundert gab es im heutigen Nationalpark Gran Paradiso im italienischen Aostatal. Das Steinwild hatte einen besonderen Schutzstatus, den es von den italienischen Königen erhielt. Angestellte Wildhüter, aber auch ehemalige Wilderer wurden beauftragt, Diebstähle der Tiere zu verhindern. Der Schweizer Tierpark St. Peter und Paul wollte Steinwild aus dem Aostatal ansiedeln, doch über einen legalen Weg schlug jede Bemühung fehl. Der St. Galler Hotelier und Steinbockfreund Robert Mader war Mitglied der Wildparkkommission und schmiedete einen Plan um an das italienische Steinwild zu kommen. Er heuerte Joseph Berard, der einer Wildererdynastie aus Aymavilles im Aostatal entstammte, an, Steinwild aus Italien zu liefern. 1906 gelang es, die ersten Tiere über Martigny/Wallis nach St. Gallen zu bringen. Insgesamt konnten 59 Kitze bis 1933 in die Schweiz gebracht werden.

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach galt als traditionsbewusster und begeisterter Jäger und ihm war es ein Anliegen, das Steinwild im Blühnbachtal anzusiedeln. Er nutzte seine Kontakte zum Tierpark und kaufte zwischen 1924 und 1928 zwei Steinböcke und sieben Steingeißen aus der Schweiz. Die angekauften Tiere wurden in ein Eingewöhnungsgatter im Blühnbachtal gebracht. Das Gatter mit einer Größe von 2,5 ha befand sich am Südabfall des Hagengebirges auf einer Seehöhe von 1.040 Metern und wurde mittels Holzzaun eingefriedet. Die Betreuung der Tiere erfolgte durch örtliche Jäger. Ungefähr fünf Stunden Gehzeit benötige man, um das Gatter zu erreichen. Im Zeitraum 1926 bis 1933 wurden dann jeweils zwei Kitze gesetzt, die aber aus dem Gatter entkamen. Mit diesem Aufwand war es möglich, das Steinwild im Blühnbachtal einzubürgern. Rund 20 Jahre nach dieser Einbürgerung erfolgte in unmittelbarer Nähe, und zwar im Nordwestabfall des Hagengebirges (Berchtesgaden), ebenfalls eine Ansiedelung von Steinwild. Dieser Auftrag erfolgte durch Reichsjägermeister Hermann Göring. Mittels Materialseilbahn wurden diese Tiere zuerst in ein Eingewöhnungsgatter und später in die freie Natur ausgewildert. Diese Bemühungen der Steinwildansiedelungen legten den Grundstein für das heutige Vorkommen dieser besonderen Wildart im Blühnbachtal und im Nationalpark Berchtesgaden.

 

Blühnbacher Steinwildkolonie

Seit der Einbürgerung des Steinwildes im Jahr 1924 liegen durchgehend Aufzeichnungen vor. Ob der teils vorgenommenen Bestandesschätzungen und Bestandeserfassungen zu ungünstigen Witterungsverhältnissen stellen die Daten jahresweise nur grobe Richtwerte da. Bis zum Jahr 1949 ist der Bestand auf 62 Stück angestiegen. Mit einem Räudebefalle im Jahr 1950 kam es zu massiven Bestandseinbrüchen und sogar einer Gefährdung der gesamten Population. Ab 1990 konnte man einen Bestandsanstieg (92 gezählte Stücke) verzeichnen. Einer der letzten großen Einbrüche im Bestand war im Jahr 2002 aufgrund einer Räudewelle. Bei der Zählung der Hegegemeinschaft wurden im April 2023 insgesamt 160 Stück Steinwild erfasst. Interessant sind auch die Zahlen der Abgänge, die sich im Zeitraum 1924 bis 2023 auf 1.019 Stück beziffern. Davon wurden 188 gesunde Stücke und 326 räudebefallene Stücke entnommen. Zur Entnahme muss man noch 505 Stück Fallwild addieren.

 

Ein Zusammenschluss

Vor 19 Jahren fand die Gründungsversammlung der Steinwildhegegemeinschaft Blühnbach-Hagengebirge-Steinernes Meer statt. WM Franz Essl und Christoph Aigner wurden als Obmann und Obmann-Stellvertreter gewählt. Die Satzungen dieser Gemeinschaft beinhalten Aufgaben wie regelmäßige Erfassungen der Bestände durch koodinierte Zählungen, Dokumentation von Wildkrankheiten, Erarbeitung von Vorschlägen zur Abschussplanung etc. Seit dem Jahr 2016 übernahm WM Rupert Essl die Funktion des Obmannes. Derzeit gehören dieser Hegegemeinschaft 14 Reviere an – die Gesamtfläche beträgt 23.560 ha.

 

Blick in die Zukunft

Ziel der Hegegemeinschaft ist, durch eine nachhaltige Bewirtschaftung und Erhaltung der Lebensräume eine gesunde Steinwildpopulation zu sichern. Besonders geachtet wird auf eine optimale Altersklassenstruktur. Die Erwärmung des Klimas und die vermehrte Ausbreitung von Krankheiten, wie z. B. Räude, werden für das Steinwild zukunftsweisend sein. Deshalb gilt es durch regelmäßiges Beobachten, Krankheiten früh zu erkennen und für eine Eindämmung durch entsprechende Maßnahmen zu sorgen. Bei einer aktuellen Studie werden die äußeren Einflüsse auf das Hornwachstum des Steinwildes untersucht. Diese Studie wird in Zusammenarbeit zwischen dem Nationalpark Hohe Tauern, der Steinwildhegegemeinschaft, dem Schweizerischen Nationalpark und dem Nationalpark Berchtesgaden durchgeführt. Eine Symbiose zwischen Forschung und Praxis ist langfristig unabdingbar, um neue Erkenntsnisse hinsichtlich des Steinwildes herauszufinden.

Ab 4. Juli wird es auf der Burg Hohenwerfen anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des „Capra ibex bluehnbachii“ eine Sonderausstellung zur Wiedereinbürgerung ins Blühnbachtal geben. Die Sonderausstellung der Salzburger Jägerschaft in Zusammenarbeit mit der Burg Hohenwerfen kann bis zum 3. November 2024 zu den Öffnungszeiten der Burg Hohenwerfen besucht werden.       

Georg Hofer